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THEMENSEITE IV

 

DER SINN DES ER-LEBENS

 BETRACHTUNGEN ZUM SELBST- UND WIRKLICHKEITSERLEBEN

 

 

 

 

Abb.1: Symbolbild (Photolia)

 

 

I Wahrnehmung, Kognition und "Perspektiven des Er-Lebens"

 

II Die 4 Grund-Perspektiven

 

III Das Selbstwertgefühl und seine Komponenten

 

IV Situationen und Ereignisse

 

V Innen- und Außenperspektive;
Skalierung und Partitionierung

 

VI Erlebensprozess 1: allgemeine Betrachtung

 

VII Erlebensprozess 2: eine sich selbst erzählende Geschichte

 

VIII Das "Stabile ICH" und das "Kranke ICH"

 

 

Kapitel I

WER BIN ICH, WAS WILL ICH, WAS TUE ICH UND WARUM?

 

Wenn wir nicht gerade schlafen oder bewusstlos sind, strömen ständig Eindrücke und Informationen über die äußere Umwelt auf uns ein. Zahllose Objekte, Situationen und Ereignisse werden wahrgenommen. Allgegenwärtig ist auch unsere "Selbst-Repräsentation", das Bewusstsein um die Anwesenheit des eigenen Ich's innerhalb der erlebten Situationen. Ebenso präsent sind zahllose Inhalte und Facetten des inneren Erlebens und innerer Zustände: Empfindungen, Emotionen, Erinnerungen, intuitive Eindrücke und bewusste Assoziationen. Viele konkrete Inhalte sind gleichzeitig präsent, andere folgen im Strom des Bewusstseins chronologisch aufeinander. Auf manche Eindrücke oder Wahrnehmungsinhalte werden wir bewusst aufmerksam und setzen uns kognitiv damit auseinander. Andere nehmen wir nur un-, vorbewusst oder auch gar nicht wahr. Mitunter scheinen inneres Erleben und die Erfahrung der Außenwelt relativ unabhängig voneinander abzulaufen: Wir können angestrengt unseren nächsten Urlaub planen oder uns an eine Geburtstagsfeier erinnern, während wir durch einen Park gehen, in die U-Bahn einsteigen oder sonstige Wechsel der äußeren Gesamtsituation erleben oder teilweise aktiv verursachen. Manchmal hingegen verändert eine die Außenwelt betreffende Wahrnehmung schlagartig unsere inneren Zustände und unsere Aufmerksamkeit wird abrupt auf andere Inhalte gelenkt. Zwischen manchen Wahrnehmungsinhalten scheinen einfachere oder komplexere Beziehungen und Abhängigkeiten zu bestehen, andere haben scheinbar überhaupt nichts miteinander zu tun.

 Wie gelangen wir überhaupt zu einem Selbst-Bezug und zu einem Bezug gegenüber Inhalten der Außenwelt? Wann nehmen wir was aus welchen Gründen mit welcher Intensität wahr? Wie gelangen wir zu ganz speziellen Eindrücken und persönlichen Motiven? Was lenkt unser Interesse auf eine bestimmte Sache? Wann empfinden wir einen Wahrnehmungsinhalt für "selbst-verständlich", wann hingegen hinterfragen wir seine mögliche Bedeutung uns selbst oder anderen Dingen gegenüber? Wann beenden wir die kognitive Auseinandersetzung mit etwas Bestimmten und richten unseren inneren Fokus wieder auf eine andere Angelegenheit?

 

SINNGEHALT DES SELBST- UND WIRKLICHKEITSERLEBENS

Wir empfinden es auf bewusster Ebene keinesfalls so: Aber unser geistiges Erleben ist in diskrete kurze Zeitintervalle zergliedert!

Der unaufhörliche Strom an Eindrücken, Gefühlen, Gedanken, Wahrnehmungen etc. erscheint uns fließend. Tatsächlich aber arbeitet das Hirn mit Standbildern die nur innerhalb unserer Wahrnehmung einen fließenden Film ergeben. Es gibt lauter kleine diskrete Szenen die durch einen Wechsel an "Grund-Perspektiven" generiert werden. Genauer gesagt überlagern sich diese Grund-Perspektiven bei wechselnder Funktionsstärke. D.h. eine von ihnen ist "maximal" oder zumindest stärker aktiviert als die anderen. Diese Welle erhöhter bzw. dominanter Aktivität wechselt ständig durch. Diese kontinuierliche Perspektiven-Überlagerung bei gleichzeitigem Intensitätswechsel ist die Voraussetzung für den empfundenen Sinn-Gehalt aller Wahrnehmungen und für die Integration des Selbst-Bildes in die erlebte Gesamt-Situation.

 

ZWEI  ZENTRALE  BEGRIFFE:

WAHRNEHMUNG UND KOGNITION

 

Wahrnehmung bezeichnet die Aufnahme und Verarbeitung von Reizen aus der Umwelt oder dem eigenen Körper. Sie erfolgt in ihrer einfachsten Form direkt über die Sinnesorgane.

Wahrnehmung bedeutet ferner das "Verfügbar- machen" von realen Dingen als Information bzw. die Abbildung ("Spiegelung") von Realität als Information.

 

Kognition hingegen bezeichnet die Verarbeitung von Informationen und die Generierung menschlicher Erkenntnisprozesse. Es handelt sich im engeren Sinn um Denkvorgänge, Assoziationsleistungen, Entscheidungen und Bewertungen.

 

PERSPEKTIVEN DES GEISTES

Begriffsdefinition:

"Perspektive" bezeichnet grundsätzlich die Ausrichtung oder  das "Gerichtet-Sein" eines wahrnehmenden Systems, hat also mit dessen  Zustand oder Funktionsstatus zu tun.

"Perspektive" bedeutet fernerhin die koordinierte und gleichzeitige Ausrichtung mehrerer Wahrnehmungsfunktionen oder /-systeme auf einen einzelnen fokussierten Wahrnehmungsgegenstand.

Im Falle eines (selbst-) bewussten kognitiven Systems, insbesondere natürlich eines menschlichen Beobachters, muss der Begriff der Perspektive ggf. auch die subjektiven Wertekategorien und Vorurteile oder Voreingenommenheit gegenüber bestimmten Wahrnehmungsinhalten einbeziehen.

Ein Naturschützer nimmt einen 700 Jahre alten Eichenbaum unter "anderen Gesichtspunkten" wahr als ein Möbelfabrikant.

Als Kausalbeziehungen dürfen postuliert werden:

1. Jedes kognitive System (hier: biologische Lebensformen, insbesondere Menschen) generiert Wahrnehmungsperspektiven.

2. Jede Perspektive ist aus- gerichtet, also funktional determiniert. Dies lässt sich leicht begründen: Allein schon weil ich als Subjekt irgendwo räumlich lokalisiert bin, mich also an einem bestimmten Punkt auf der Welt befinde (und an allen anderen denkbaren Punkten somit nicht)! Ferner sind unsere Wahrnehmungsfunktionen (beschränken wir uns hier der Einfachheit halber auf die trivialen Sinnesfunktionen) biologisch-evolutionär in ihrer Funktionsstärke beschränkt! Ich kann keine Objekte von weniger als 0,1 mm Länge (mit bloßem Auge) sehen, ebenso wenig ultraviolettes Licht. Darin unterscheide ich mich zwar keinesfalls von den knapp 8 Milliarden Mitmenschen, was aber nichts daran ändert, dass mein Sehsinn (und der aller anderen Menschen) von Natur aus innerhalb bestimmter Parameter begrenzt ist.

Es gibt natürlich weitaus komplexere Formen von Perspektiven! Im Wechselspiel von Wahrnehmung und Kognition entstehen "innere", "geistige" Perspektiven, teilweise nur von kurzlebiger Dauer, teilweise miteinander konkurrierend oder sich verstärkend.

Ein triviales Beispiel hierfür ist die Anbahnung einer simplen Assoziationskette! Ich nenne 3 Begriffe: Hammer, Bild, Nagel. An was denkt man beinahe zwangsläufig? - An eine Person, die mit einem Hammer einen Nagel in die Wand schlägt, um daran ein Bild aufzuhängen! Ich habe also die Vorstellung über eine bestimmte Handlung erzeugt, ohne diese Handlung (die keinesfalls zwangsläufig aus den genannten Begriffen abgeleitet werden muss) an sich benannt zu haben !

Ein weiteres Phänomen soll hier unbeschadet seiner eingeschränkten Tauglichkeit zur Verallgemeinerung erwähnt werden: Wer schon einmal in einem Flugzeug saß, mit einem Gleitschirm oder Drachen geflogen oder mit dem Fallschirm abgesprungen ist, wird folgendes bestätigen: Aus großer Höhe kann ich Höhenunterschiede zwischen Flächen und Objekten am Boden nicht wahrnehmen! Ich weiß, dass ein Wald "höher" in den Himmel ragt wie ein abgeerntetes Weizenfeld, ebenso liegt ein Fluss oder Bach zwingend tiefer als eine daneben befindliche Landstraße. Sehen bzw. erkennen kann ich dies aus der Höhe aber nicht, ich weiß es eben aufgrund allgemeiner Lebenserfahrungen, weil ich entsprechende Objekte schon tausende Male vom Boden aus gesehen habe. Das Merkmal der Höhe wird auf dem (scheinbar) "zweidimensionalen" Bild der Erdoberfläche unterschlagen. Gleichwohl ist der Umstand meiner eigenen Höhe (wenn ich etwa bei 3000 Höhenmetern mit dem Fallschirm aus dem Flugzeug springe) Voraussetzung dafür, überhaupt eine derart hohe Anzahl an Objekten auf einer derart großen Gesamtfläche erkennen zu können!

"Perspektive" kann also (auch) bedeuten, dass eine lokal "unterschlagene" oder "nicht abgebildete" Information zum Mittel (Werkzeug) oder zur Voraussetzung für die Wahrnehmung anderweitiger Informationen wird. Es handelt sich in diesem Fall also eine "Information", die selber keinen semantisch-begrifflichen Inhalt, dafür aber eine Wirkung oder Funktion hat. Sie wird zu einer Art von "temporär-virtuellem" Sinnesorgan.  

 

In nachfolgenden Bildern ergibt sich die visuelle Perspektive eines Individuums (kleiner Kreis) aus seiner räumlichen Position gegenüber den Objekten (den Dreiecken)

 

Abb.2: Aus Perspektive 1 ist Objekt B ist nicht sichtbar, da von Objekt A verdeckt.

 

Abb.3: Aus Perspektive 2 sind alle drei Objekte sichtbar

             

 

Ein anderer, ebenfalls sehr schlichter Vergleich:

Ich kann mir eine Wahrnehmungsperspektive als schlichtes Strahlenkreuz (gebildet aus den sich schneidenden Strecken) vorstellen.

 

 

 

Abb.4: Analogie Strahlenkreuz: Mit einer Teilmenge meiner geistigen (kognitiven) Funktionen nehme ich eine Teilmenge an Inhalten der realen Umwelt wahr.

Die nach links geöffnete "große Schere" des Strahlenkreuzes steht für eine bestimmte Menge an Wahrnehmungsinhalten, die sich auf die äußere Umwelt beziehen, also für eine Teilmenge von Inhalten meiner realen Umgebung. Die nach rechts geöffnete "kleine Schere" steht für eine Menge an Wahrnehmungs- (und kognitiven) Funktionen, mittels derer die Wahrnehmungsinhalte der Außenwelt als Repräsentationen verfügbar gemacht werden.

 

 

Abb.5: Die grün schraffierte Fläche innerhalb der "großen Schere" steht für die im Moment real wahrgenommenen Inhalte der Außenwelt. Die Gesamtfläche des kleineren inneren Kreises steht für den Anteil der Außenwelt, den ich theoretisch mit den aktuell aktiven Wahrnehmungsfunktionen erfassen könnte, wenn ich meine Perspektive (durch Drehung des Strahlenkreuzes um seinen Mittelpunkt) ändern würde. Die Fläche des gelb schraffierten äußeren Kreisringes steht für Inhalte der Außenwelt, die ich aus (dieser) Perspektive überhaupt nicht wahrnehmen kann, weil sie "außer Reichweite" sind.

 

Wir erleben nur dem Gefühl nach eine eindeutige (Gesamt-)wirklichkeit! Tatsache ist: wir haben keinen unmittelbaren Kontakt zur Wirklichkeit, sondern sind durch biologische und psychologische Filter, die den Input unserer Sinnes- und Kognitionssysteme zensieren, von ihr "relativ getrennt"!

Genau genommen gibt es uns selber als kohärente, immer gleich bleibende Persönlichkeit ebenfalls nicht! Unser eigenes vermeintliches ICH "wohnt" in einer funktionalen Schnittstelle zwischen informationsverarbeitenden Prozessen und solchen, die mit der Entstehung von Emotionen und Motiven zu tun haben. Das ICH ist im Grunde selber eine Art Programm, dessen Funktionen (Stärke und Ausrichtung) gewissermaßen ebenso determiniert sind, wie jene unserer geistig-mentalen Perspektiven!

 

Ich bitte meine Leser an dieser Stelle zur Teilnahme an einem kleinen Gedankenexperiment (bitte zuerst lesen und dann weiter scrollen!):

 

"Erinnere Dich an deinen letzten Besuch in einem Freibad! Stelle Dich selber bildlich beim Schwimmen vor!"

 

Ich denke, die meisten (vor allem die Rechtshänder) haben den bildlich vorgestellten eigenen Körper an der rechten Längsseite des Beckens von links nach rechts, oder (vor allem die Linkshänder) von rechts nach links im Wasser schwimmen sehen (Anmerkung: rechts und links bezieht sich hier auf die rechteckige Form des Beckens, dessen unbeschadet kann sich der Körper perspektivisch sehr wohl "von vorne auf den Beobachter" zu bewegt haben, wie in Abb.6 und 7)?! Der Körper war vermutlich knapp einen halben bis einen Meter vom Beckenrand entfernt und wurde aus relativer Nähe (bis zu etwa 2 Meter Entfernung) von schräg vorne/oben betrachtet?!

 

Wer versucht hat, die bildliche Vorstellung zu erzeugen, hatte denkbarer Weise ein Bild vor dem geistigen Auge, dass in etwa den nachfolgenden Bildern (Abb. 6 und 7) ähnelt (ich muss mit dieser Vermutung allerdings nicht richtig liegen!)

 

 

Abb. 6: Schwimmer in Bewegung von "links nach rechts" bzw. analog von "vorne nach hinten", wenn sich die Beobachter-Perspektive am rechten Beckenrand vor dem Schwimmer befindet. Die Aufnahme wurde unpassender Weise in einem "atypischen", da nicht rechteckigen Becken photographiert.

 

 

Abb. 7: Schwimmer in Bewegung von "rechts nach links" nzw. analog von "hinten nach vorne", wenn sich die Beobachter-Perspektive am rechten Beckenrand befindet.

 

Der bildlich vorgestellte Körper entspricht in diesem Fall dem "modellierten Selbst", dem "Selbstbild", welches in die vorgestellte Situation hineinprojizierten wurde! Aber wo war das phänomenale Selbst, also diejenige Instanz, die sich den eigen Körper aus einer externen Perspektive (der "Ego-Perspektive") heraus beim Schwimmen bildlich vorstellt?

 

Zwischenbemerkung: Als "phänomenales Selbst" bezeichnet man den akuten Vorgang der Selbst-Identifikation mit Inhalten und Prozessen des Wahrnehmens und Erlebens. Die "Ego-Perspektive" und das "Selbstwertgefühl" sind latente Kandidaten (aber mitnichten die einzigen!) für diesen Vorgang.

 

Ich spekuliere weiter:

Die "Ego-Perspektive" der Teilnehmer des Experiments, gleichbedeutend mit dem "phänomenalen Selbst" (in nachfolgenden Abbildungen Nr.9 und Nr.10 symbolisch als "gelber Geist" in annährender Menschengestalt symbolisiert) war vermutlich auf etwa 1,50 bis 2 Meter Höhe ebenfalls an der (in den meisten Fällen) rechten Becken-Längsseite  platziert, wahrscheinlich ebenfalls um ca. 1,50 bis maximal 2 Meter "schräg vor den Schwimmer" ?!

 

 

Abb.8: Die rote (gelb markierte) Linie symbolisiert den Abstand des vorgestellten Körpers vom Beckenrand, die grüne Linie den Abstand der Ego-Perspektive bzw. des "phänomenalen Selbst" gegenüber dem vorgestellten (modellierten) Körperbild, die roten Augen symbolisieren die angenommene Position der Ego-Perspektive.

 

 

 

 

Abb.9: der "gelbe Geist" symbolisiert die "Ego-Perspektive", aus der ich meinen eigenen Körper "sehe".

 

 

 

Abb.10:(analog zu Abb.8): Schwimmer bewegt sich von rechts nach links

 

 

Evtl. war der vorgestellte eigene Körper auch etwas weiter von der Ego-Perspektive (dem "phänomenalen Selbst") entfernt, vielleicht ca. 3 bis max. 5 Meter?!

Eine Minderheit der Teilnehmer am Gedankenexperiment wird den eigenen vorgestellten Körper vielleicht von hinten betrachtet haben?! Vermutlich ebenfalls aus einer Entfernung zwischen 2 bis maximal 5 Metern, wie in unteren beiden Fotos beispielhaft dargestellt?

 

 

 

Abb.11: eigener vorgestellter Körper aus  2 Metern Entfernung von hinten

 

 

Abb.12: eigener vorgestellter Körper aus ca. 5 Metern Entfernung von hinten

 

Ich spekuliere weiter: Vermutlich hat niemand den eigenen gedanklich vorgestellten Körper "aus sehr großer" Entfernung betrachtet, wie im nachfolgenden Bild beispielhaft dargestellt?!

 

 Abb.13: vorgestellter eigener Körper aus "großer" Entfernung

 

 

Insbesondere hat sich wahrscheinlich kaum jemand die Szene ohne ein modelliertes "Selbst-Bild", also ohne eine verbildlichte Repräsentation des eigenen Körpers vorgestellt. Dies könnte natürlich auch mit der eingangs konkret formulierten Aufforderung, "sich selbst beim Schwimmen bildlich vorzustellen", zu tun gehabt haben?! Aber selbst bei einer weniger eindeutigen Anweisung vermute ich, dass sich die wenigsten Menschen eine Situation im Schwimmbad aus der direkten 1.Person- bzw. Ego- Perspektive ohne ein imaginäres, implementiertes Abbild des eigenen Körpers vorgestellt hätten?!

 

 

Abb.14: Das Schwimmbecken aus der "1.Person- bzw. Ego-Perspektive" des Schwimmers. Um den eigenen Körper aus dieser Perspektive sehen zu können, müsste man in einen Spiegel schauen!

 

 

 

Mit noch geringerer Wahrscheinlichkeit wird jemand seinen eigenen Körper von unten, also vom Boden des Beckens aus betrachtet haben?!!

 

 

Abb.15: Schwimmer von unten betrachtet

 

Die hierfür erforderliche "Ego-Perspektive" (des phänomenalen Selbst), befände sich in diesem Fall, wie im nachfolgenden Bild illustriert, am Beckenboden schräg vorne unterhalb des Schwimmers:

 

 

Abb.16: Darstellung der für Abb.13 erforderlichen 1.Person-Perspektive

Warum ist es eigentlich "abwegig", sich selbst von unterhalb der Wasserlinie bzw. vom Beckenboden aus zu betrachten? Man könnte sagen, dies sei unzweckmäßig, weil wir unter Wasser nicht atmen können! Auch würde der Auftrieb des eigenen Körpers eine Rückenlage am Beckenboden reichlich erschweren. Aber ist das im Rahmen einer imaginären Vorstellung nicht etwa völlig egal? Doch, ist es! Aber wir sind daran gewöhnt, bei der Vorstellung einer Sache automatisch eine Perspektive zu wählen, die im Falle ihrer realen Umsetzung unser Überleben oder unseren Komfort gewährleisten oder begünstigen würde! Unser Unterbewusstsein liefert, soweit möglich, eine unter physikalischen Aspekten, oder sagen wir besser, eine vor dem Hintergrund "normaler" Alltags- und Lebenserfahrungen "realistische" Darstellung (abhängig von dem Grad, in dem unser Wissen bzw. unsere Vorstellung die Wirkung der Naturgesetze korrekt widerspiegelt oder simuliert)!

Dass sich die meisten von uns die vorgestellte Eigenbewegung ihres modellierten Selbst von links nach rechts dachten, hat vielleicht damit zu tun, dass wir von links nach rechts lesen und daher unseren Kopf, unser wohl elementarstes Körperteil, sehr häufig von links nach rechts bewegen (zumindest jedenfalls drehen)?!

Unabhängig davon, ob meine Spekulationen darüber, wie sich die Teilnehmer des Gedankenexperiments ihren eigenen Körper vorgestellt haben, stimmen (Lokalisation, Entfernung, Bewegungsrichtung, etc.), bleibt es eine hoch interessante Frage, wie sich das Hirn für die Generierung von Variablen einer Perspektive und die Details der darin enthaltenen Inhalte entscheidet!

 

Nachfolgende Abbildung zeigt einen Ausschnitt an denkbaren (willkürlichen) Orten, an denen sich die "Egoperspektive" des phänomenalen Selbst (die roten Augen) im Zuge der "Betrachtung des vorgestellten Körperbildes" beim Schwimmen im Freibad positionieren könnte! Anzahl, Winkelverläufe und Abstand der Kreisbahnen repräsentieren natürlich nur eine minimale Auswahl der theoretisch "unendlichen" Möglichkeiten!

 

 

Abb.17: mögliche "Kreis- bzw. Elypsenbahnen" für die 1.Person-Perspektive

 

Manch ein Leser bzw. Teilnehmer dieses Gedankenexperiments wird vielleicht einwenden, er hätte in seiner Vorstellung gar keine präzise Situation von geometrischer Qualität, mit (Becken-)linien oder konkreten Abständen und Winkeln zum bildlich gedachten Körper erzeugt? Vielleicht hat er/sie nur einen "diffusen" Umriss eines (mit dem eigenen Ich assoziierten) Körpers in einer "unspezifischen" Umgebung generiert, wie durch nachfolgende Bilder beispielhaft illustriert?

 

 

 Abb.18-20: "unscharfes Selbstbild"

 

Aber auch in diesem Fall bleibt die Frage: Wie hat sich das Hirn im Zuge der Generierung dieser Vorstellung für irgendeine der erzeugten Details und deren "Qualitäten" entschieden? War da hinter den Kulissen vielleicht ein zumindest kurzer, dem Bewusstsein verborgener "Wettbewerb" konkurrierender Bilder? Oder wurde das Ergebnis sehr spontan innerhalb eines eher "linearen" Entstehungsprozesses geliefert?

 

 

Ein anderer Aspekt bei der Generierung einer bildlichen Perspektive ist neben der Lokalisation der "Beobachterposition"  auch deren Ausrichtung:

Eine Perspektive kann bspw. auf ein Objekt fixiert sein und einem (hier beweglichen) Motiv folgen: In nachfolgender Abbildung beobachtet jemand einen Läufer, der fliehenden Schrittes durch die Gegend eilt. Sein Blick folgt der Person von rechts nach links. Der Läufer selbst ist in der "Mitte des Rahmens" fixiert, hat also immer denselben Abstand zum Rahmen. Der Rahmen selbst hingegen wandert, da er dem Läufer (von rechts nach links) folgt!

 

 

Abb.21: "Auf (bewegliches) Objekt gerichtete Perspektive

 

Umgekehrt ist es im nächsten Fall: Jemand beobachtet einen (fixierten) räumlichen Bereich. Stellen wir uns vor, es handle sich um das Bild einer Webcam, die sich irgendwo im Allgäu befindet und auf die Gebirgslandschaft gerichtet ist. Der Hintergrund ist immer derselbe, der Fokus der Kamera ist auf das Bergpanorama gerichtet. Die beweglichen Objekte im Vordergrund wandern nach links oder rechts aus dem Rahmen hinaus!  Fragt man den Beobachter: "Woher kam das Flugzeug?" könnte er korrekter Weise antworten: "von rechts!" Und "wohin flog es?" Die an sich unsinnige, aus der konkreten Perspektive heraus aber durchaus korrekte Antwort lautet: "nach links!"

 

 

Abb.22: Auf (statischen) Raumausschnitt gerichtete Perspektive

 

In seiner wirklich trivialsten Bedeutung beschreibt der Begriff der Perspektive eine Beziehung zwischen einem Beobachter und einem (um es trivial zu belassen) visuell wahrgenommenen Objekt.

Diese "Beziehung" weist minimal zwei Variablen auf: Entfernung und Richtung.

Eine (optische Wahrnehmungs-) perspektive weist zudem auch eine "Qualität" auf, die auf zweifache Art definiert sein kann.

Fall 1: Ein bestimmtes (bewusst ausgewähltes) Motiv wird bestmöglich ("vollständig" oder "optimal") erfasst:

Wenn ich auf dem Tegelberg wandere und das Schloss Neuschwanstein sehen oder fotografieren will, finden sich hierfür verschiedene lokale Punkte, die entweder überhaupt nicht, nur einigermaßen gut oder aber ganz hervorragend dafür geeignet sind.

Fall 2:  Wahrnehmungsinhalte (ob gezielt ausgewählt oder nicht) werden als "widerspruchsfreie Einheit" erfasst bzw. zusammengefasst:

Blicke ich von einer Bergspitze aus in irgendeine Himmelsrichtung, erkenne ich eine detailreiche, weitflächige Landschaft.

 

Wir wissen, dass die (bewusste) Wahl oder (zufällige) Begebenheit einer Perspektive Auswirkungen darauf hat, was wir wahrnehmen und wie wir etwas wahrnehmen! Ein Blick vom Gipfel des Nebelhorns in nördliche Richtung liefert andere Inhalte, als ein Blick nach Süden! Und ein Mensch, den wir wahlweise aus 5, aus 500 oder aus 5000 Metern Entfernung sehen, wirkt dementsprechend größer oder kleiner.

Natürlich haben wir keinerlei Zweifel daran, dass die südlich des Nebelhorns gelegenen Objekte auch dann vorhanden sind, wenn wir nach Norden blicken (also unabhängig von unserer Wahrnehmung existieren). Auch wird ein Mensch, egal wie groß oder klein er bei wechselnder Entfernung auch wirken mag, seine reale und von unserer Wahrnehmung unabhängige Körpergröße aufweisen. 

Es gibt aber tatsächlich Inhalte, die sehr wohl nur innerhalb unserer Wahrnehmung existieren bzw. durch  Wahrnehmungsfunktionen und -perspektiven erzeugt werden. Eine optische oder akustische Halluzination ist ein reines Produkt des Gehirns, gleichwohl weist sie überhaus konkrete Qualitäten auf (eine eingebildete Stimme etwa kann eine konkrete Lautstärke, Stimmlage, Stimmfrequenz, Emotionalität, u.a. aufweisen).

Es gibt ferner Wahrnehmungsinhalte, deren Ursprung sowohl in der realen Welt als auch in unserer (perspektivisch bedingten bzw. determinierten) Wahrnehmung liegen. Ein triviales Paradebeispiel hierfür ist der Regenbogen! Ein solcher wirkt überaus "real" und er befindet sich scheinbar in einer bestimmten Entfernung an einem bestimmten Ort in der Landschaft. Gleichwohl ist eine Annäherung sinnlos, da er sich dann entfernt und irgendwann verblasst. Das heißt: er entfernt sich eigentlich nicht, denn er befindet sich an gar keinem bestimmten Ort! Ich kann ihn auch nur sehen, wenn ich die Sonne im Rücken habe! Die Regentropfen am Himmel wirken wie Prismen, die das weiße Sonnenlicht in seine Spektralfarben aufspalten. Ob, wie (welche Farben, Farbintensität) und wo ich ihn verorte hängt von meiner (räumlichen) Perspektive ab! Ein Kind von geringerer Körpergröße, dass direkt neben mir stehend ebenfalls auf den Regenbogen schaut, erlebt ihn gegenüber meiner Wahrnehmung leicht versetzt und mit etwas anderer Farbdominanz!

Ein Regenbogen ist also insofern real, als die Lichtbrechung (durch Prismen oder eben auch durch Wassertröpfchen) real ist und er ist insofern nur Einbildung, als seine Wahrnehmung wirklich völlig von meiner Perspektive abhängt.

Im Falle des Regenbogens mag dies nicht besonders wichtig erscheinen. Wir werden uns nachfolgend mit sehr viel bedeutsameren Aussagen über Wahrnehmung, Kognition und Perspektiven beschäftigen und auf Dinge zu sprechen kommen, die für uns weitaus wichtiger als ein Regenbogen sind - und die viel komplexere "Schwebezustände" zwischen "Realität" und "Information" aufweisen können!

 

 

 

PERSPEKTIVISCHES WAHRNEHMEN

 

WAHRNEHMUNG UND KOGNITION IN INTERAKTION

Wahrnehmung und Kognition sind keine grundverschiedenen Mechanismen! Sie bedingen sich vielmehr gegenseitig. Oft entscheidet die Intensität eines Prozesses oder der Grad des Bewusstseins über den Prozess darüber, ob er dem Bereich der Wahrnehmung oder jenem der Kognition zuzuordnen ist: Eine un- oder vorbewusste Kategorisierung (wenn ich etwa  einen Käfer spontan als solchen erkenne und ihn unbewusst aus der Ordnungskategorie "Insekt" in eine Unterebene verschiebe) ist eindeutig ein Wahrnehmungsprozess. Die genauere Analyse (etwa der Versuch, unter bewusstem Abruf gespeicherten Wissens die genaue Art zu benennen) entspricht hingegen einer Kognitionsleistung.

 

KOGNITION IST BEWUSSTE UND FOKUSSIERTE WAHRNEHMUNG

Kognition ist im Grunde eine potenzierte, zumeist zielgerichtete Form der Wahrnehmung, die  i.d.R. stark mit der augenblicklichen Intention des wahrnehmenden Subjektes in Verbindung steht. Wahrnehmung ist etwas unglaublich Universelles. Auch unsere Selbst-Repräsentation beruht auf Wahrnehmungsprozessen (auf Empfindungsebene). Ich kann Dinge wahrnehmen ohne sie (bewusst oder willentlich) kognitiv zu verarbeiten. Aber ich kann keine Kognitionsleistung bzw. prinzipiell keinen "Willensakt" vollbringen, ohne denselben nicht zwingender Weise auch in irgendeiner Form und in irgendeinem Umfang wahrzunehmen.

 

GEDANKENEXPERIMENT:

Ich erwache aus tiefer Bewusstlosigkeit und befinde mich in einem Raum. Ich habe keine Ahnung wo ich ich mich befinde und wie ich hierher gelangt sein könnte. Ich schaue mich also um und beginne bewusst wahrzunehmen und zu denken: Der Raum hat Eisenwände. Das spricht gegen ein gewöhnliches Zimmer in einem Haus oder einem Hotel. Ich höre Motorengeräusche und spüre leichte Vibrationen. Ich befinde mich wohl in einem Fahrzeug. Der ganze Raum schwankt etwas. Das spricht für meine Anwesenheit auf einem Schiff, das im Seegang schaukelt. Das Fenster ist verglast und kreisrund. Könnte wohl ein Bullauge sein. Die Schiff-Vermutung wird gestützt. Ich schaue aus dem Bullauge und sehe Raben am Himmel fliegen. Das Schiff muss sich wohl in Küstennähe befinden. Auf hoher See gibt es keine Raben. Ein paar Eisbrocken treiben im Wasser. Also kann sich das Schiff unmöglich in der Südsee aufhalten. Ich sehe dass sich die Wasserfläche etwa zehn Meter unter dem Bullauge befindet. Also befinde ich mich wohl auf einem relativ großen Schiff. Durch Kognitionsleistung kann ich also einige Rückschlüsse über die Situation gewinnen.

Nehmen wir nun an ich könnte meine räumliche Perspektive X-beliebig verändern: Ich verlasse also den Raum und gehe auf dem Schiff umher. Nun kann ich direkt u.a. an den Aufbauten erkennen, ob es ein Frachter, ein Passagier- oder gar ein Kriegsschiff ist (ohne abstrakt darüber nachzudenken). Ich schwebe nun in die Luft empor und sehe das Schiff von oben. Je höher ich schwebe, umso deutlicher sehe ich das Schiff im Kontext zu seiner Umgebung. Ich erkenne Konturen von Küsten, Ländern, Kontinenten und weiß nun (unter der Voraussetzung, dass ich geographisches Wissen im Hirn gespeichert habe) ob sich das Schiff in der Adria, in der Ostsee, in der Karibik oder im Atlantischen Ozean befindet.

Durch Wahrnehmung und Kognition generiere ich Informationen. Um wahrnehmen bzw. kognitive Leistungen vollbringen zu können, muss ich aber über eine Perspektive verfügen. Spezielle Wahrnehmungsprozesse befassen sich mit einer vordergründigen Aufgabenstellung (etwa den Inhalten einer aktuellen Erlebens-Situation oder einer Rechenaufgabe). Eine andere Art von Wahrnehmungsprozessen befassen sich mit der relativen Position des eigenen ICH`s in einer (physikalischen oder abstrakten) Umgebung bzw. Situation. Während ich momentan z.B. im Kopf auszurechnen versuche, wie viel 275 geteilt durch 3 ist, habe ich ein Bewusstsein darüber, dass ich mich während dieser Aufgabenausführung in meinem Wohnzimmer befinde und habe ebenso eine Vorstellung oder zumindest eine Empfindung darüber, ob bzw. welchen Grund ich dafür habe, die Aufgabe überhaupt lösen zu wollen und ob es prinzipiell relevant sein könnte, die Aufgabe erfolgreich abzuschließen. Wir sprechen also von zwei parallel ablaufenden Ebenen der Wahrnehmung: Einer (fokussierten) kognitiven und einer (reflektierenden) perspektivischen Wahrnehmung.

Die Effizienz von perspektivischen Wahrnehmungsprozessen ist umso höher, je "entfernter" sich meine Wahrnehmungsperspektive (im räumlichen oder abstrakten Sinne) gegenüber einem Wahrnehmungsinhalt befindet.

Die Effizienz kognitiver Wahrnehmungsprozesse bzw. einer kognitiven Aktion hingegen ist umso höher, je näher sich meine Wahrnehmungsperspektive (im räumlichen oder abstrakten Sinne) gegenüber einem Wahrnehmungsinhalt befindet.

 Ich will es an folgendem Beispiel verdeutlichen:

 Eine kognitive Aktion entspricht analog betrachtet einer aktiven Handlung (während Wahrnehmung von seiner grundsätzlichen Natur her eher etwas "passives" ist). Um aus dem verschlossenen Raum auszubrechen nützt es nichts, wenn sich meine (Beobachter-) Perspektive 100 km über dem Schiff befindet und ich somit bestens darüber im Bilde bin, dass es im Adriatischen Meer kreuzt. Um eine wirksame Aktion vornehmen zu können, muss ich ganz punktuell präsent sein und unmittelbar Kraft ausüben (indem ich etwa mit einem Brecheisen die Tür aufheble).

 

Der Punkt ist also der:

Perspektivische (reflektierende und nicht explizit vom "Ich" ausgehende) Wahrnehmungsprozesse haben die Tendenz, das Wahrnehmungsfeld oder den Fokus möglichst weit auszudehnen und viele Informationen (und ggf. Wissen um Handlungsoptionen) zu sammeln. Das "Wissen" bildet sich hier aus dem (räumlichen oder abstrakten) Kontext verschiedener Inhalte zueinander.

 

 

Abb.23: Expandierendes Wahrnehmungsfeld

 

Kognitive (Wahrnehmungs-)Prozesse hingegen haben die Tendenz, das Wahrnehmungsfeld zu verengen (zu fokussieren), möglichst viele Informationen selektiv auszuklammern und sich mit möglichst wenigen Inhalten auf Grundlage möglichst konkreter Kriterien punktuell zu befassen (und ggf. die Entscheidung für eine Handlungsoption zu erzielen). 

 

Abb.24: sich verengendes Wahrnehmungsfeld

 

 

FUNKTIONALE GRENZEN DER WAHRNEHMUNGS-PERSPEKTIVE

Mit der "Distanz" zum Objekt - ob im direkten oder im abstrakten Sinn - erhöht sich, wie oben angesprochen, die Effizienz eines mit der Generierung einer Perspektive betrauten Wahrnehmungsprozesses (es wird eine höhere Informationsmenge generiert), weil dadurch der Kontext eines Objektes zu seiner Umwelt umso deutlicher hervortritt: Einen Radfahrer aus einigen Kilometern Entfernung zu beobachten gibt mehr Aufschluss über dessen Fahrtrichtung, sein denkbares Ziel und die Geschwindigkeit. Natürlich gilt dies nur bis zu einem bestimmten Grad. Kommen wir noch einmal auf das  Schiff zurück. Infolge einer imaginären Vogel-Perspektive zu wissen, in welchem Meer es sich bewegt ist aufschlussreich und limitiert zunächst die theoretisch denkbaren Zielorte des Schiffes. Die perspektivische Distanz noch weiter zu erhöhen nützt nichts mehr! Die Information darüber, dass sich das Schiff auf dem Planeten Erde befindet ist für die konkrete Situation uninteressant. Zu wissen, in welcher Position sich die Erde im Sonnensystem, das Sonnensystem innerhalb der Milchstraße und die Milchstraße innerhalb der anderen Galaxien befindet, bringt keine weiteren brauchbaren Erkenntnisse in Bezug auf die Situation.

Nicht alle Informationen konkretisieren sich analog zur Distanz zum Objekt! Will ich etwa den Namen des Schiffes erfahren oder das Gesicht des vorhin angesprochenen Radfahrers sehen, muss ich sogar die Distanz idealer Weise bis zu einem Minimum verringern. Das ist aber eine völlig andere Sache! Wenn mich der Namen des Schiffes oder das Gesicht des Radfahrers interessieren, dann habe ich ein persönliches Motiv oder es besteht ganz schlicht ein intentionaler Bezug zwischen Beobachter und beobachtetem Objekt. Zielgerichtete, fokussierte Wahrnehmungen infolge eines Motivs aber sind kognitiver Natur!

 

ICH MUSS WISSEN, WORUM ES GEHT

Damit Wahrnehmungen einen Sinn ergeben und kognitive Bemühungen zielgerichtet sind, muss ich als Subjekt  jederzeit "wissen", "um was bzw. worum es überhaupt geht". Auf einem Schiff gefangen gehalten zu werden ist eine sehr konkrete Situation mit einer sehr konkreten Handlungsaufforderung für das Subjekt. Die meisten Situationen und Ereignisse die wir erleben sind eher "belanglos" und dennoch "wissen" wir bzw. haben stets zumindest ein "Gefühl" dafür, ob bzw. was wir überhaupt tun müssen, sollen oder zumindest (nicht) tun wollen. Weder ein Bleistift auf dem Tisch, noch ein Bild an der Wand oder irgendwas anderes auf der Welt ergibt einen "Sinn", wenn meine persönliche Intentionalität gegenüber dem Objekt oder der vorherrschenden Situation, innerhalb derer ich mit dem Objekt konfrontiert werde, nicht irgendwie reguliert ist! Allerdings trifft das bewusst agierende ICH in den wenigsten Fällen eine Wahl bezüglich der Perspektive oder der Erweiterung/ Verengung des Wahrnehmungs- Fokus! Es reagiert vielmehr auf vorausgegangene Ereignisse dieser Art, die das Hirn jenseits bewusster Willens- und Entscheidungsvorgänge vollzogen hat! "ICH" selber kann ja schließlich mangels Kapazität auch gar keine bewusste Intention zu zahllosen Einzelobjekten entwickeln, die zufällig in meinen Wahrnehmungsbereich gelangen! Vielmehr werden auf unbewusster Ebene aus unzähligen Einzelinformationen aufgrund z.T. minimaler logischer Prinzipien und Referenzwertigkeiten eine überschaubare Menge an widerspruchsfreien "Paketen" gebündelt (die meisten Personen, Autos, Häuser, etc. an denen wir tagsüber vorbeilaufen, integrieren sich problemlos in die allgemeine "Hintergrundwahrnehmung")!

Das wirft zwei interessante Fragen auf:

1. Was will ich tun, wenn ich "nichts tun will" bzw. "worum geht es", wenn es auf bewusster Ebene "um nichts" geht"? Ohne ein intentionales "Thema" stürzen sich wahrnehmende und kognitive Prozesse "sinnlos" auf Inhalte und driften weit auseinander!

2. Was definiert den Sinn von Wahrnehmungen und/ oder Handlungen, die gerade erst entstehen bzw. sich aus einem Spektrum an vorhandenen Möglichkeiten heraus kristallisieren?

 

Diese Fragen beziehen sich nicht darauf, wie die Wertigkeit eines noch nicht eingetretenen aber bekannten bzw. erwarteten künftigen Ereignisses (etwa ein geplanter Mallorca-Urlaub) gebildet wird! Dies geschähe eben auf Grundlage einer Hypothese. Es geht um die Frage, warum ich in einem bestimmten Augenblick z.B. überhaupt über einen Mallorca-Urlaub nachdenke. Genauso gut könnte mir im selben Augenblick in den Sinn kommen, ein Modellflugzeug kaufen zu wollen, im Wald spazieren zu gehen oder ich könnte "zufällig" darüber nachgrübeln, wann die französische Revolution war.

Bei psychotischen Störungen kann der Betroffene unter der verwirrenden Empfindung leiden, nicht zu wissen, "um was es geht!" Sinnvolle Strukturierungen des Informationsflusses auf un- und vorbewusster Ebene bleiben aus! Die Grenze zwischen Hintergrund- und Vordergrundwahrnehmung verschwindet. Die verschiedenen Grade der Intentionalität zerfließen.

Ich postuliere folgendes: Das bewusst agierende Ich, zumeist sogar unsere unterbewussten, der Orientierung und der Verhaltenssteuerung zugrunde liegenden geistigen Regungen, trachten danach, eine "kognitive", den Fokus verengende und somit selektierende Perspektive einzunehmen, welche die Anzahl der Wahrnehmungsinhalte verringert. Es geht salopp vereinfacht ausgedrückt um die Frage: "Wie löse ich das vordergründig vorhandene "Problem" oder wie treffe ich (m)eine "Entscheidung"? oder "Mit welchem Thema setzte ich mich überhaupt auseinander?"

Das "System" (Gehirn) hingegen, dessen Produkt u.a. auch meine eigene Selbst-Vorstellung ist, trachtet danach, eine expandierende, den Fokus erweiternde Perspektive einzunehmen oder zu simulieren, aus der sich kontextbezogene Informationen ergeben. Es geht dabei um den Kontext zwischen dem (in welcher Art und Stärke auch immer) gegenwärtig repräsentierten Selbst-Modell und seiner (abstrakten) Umwelt. Hier geht es also um die Frage: "In welcher Situation befindet sich das ICH oder SELBST überhaupt?"

Zwischenkommentar: Informationen könnte man m. E. sinnvoller Weise in drei Hauptkategorien einteilen: Repräsentationen ("Abbildungen") stehen für "analoge", "banale" Darstellungen der Außenwelt (oftmals nur Objekte), die wir zwar wahrnehmen, mit denen wir uns aber nicht näher emotional oder kognitiv befassen. Ein Thema hingegen steht entweder im "positiven" Sinn mit unserem (Über-)lebensvorteil oder Lustgewinn in Verbindung. Dann berührt es unser Interesse, unsere Neugierde, unsere Motivation. Oder es steht im negativen Sinn mit unserem (Über-)lebensvorteil oder Lustgewinn in Verbindung. Dann handelt es sich um ein "Problem". Ein Problem wiederum ist eine Information über etwas, das entweder unerfreulich (hinderlich, bedrohlich, dem Lustprinzip abträglich etc.) oder unlogisch ist. Unlogisch ist eine Information wiederum dann, wenn sie sich durch Unvollständigkeit, Widersprüchlichkeit oder Mehrdeutigkeit auszeichnet. Dann denken wir i.d.R. über die Sache nach, was wir meistens auch tun, wenn nur ganz allgemein ein "Thema" vorliegt!

Ein "Problem" ist also eine unvollständige, mehrdeutige oder widersprüchliche Information. Ferner kann es sich um eine Information handeln, die im weitesten Sinn mit unseren Überlebensvorteilen, unserem Lustgewinn und unserem Selbstwertgefühl zu tun haben (könnte)! Sie tangiert nicht nur die allgemeine Wahrnehmungs- sondern auch eine "Relevanzschwelle" und neigt dazu, einen Denkprozess auszulösen.

Der Leser mag sich vielleicht fragen, warum ich bei den angenommenen Verursachern einer den Fokus verengenden bzw. erweiternden Perspektive zwischen dem "Selbst" und dem "System" und nicht zwischen "Bewusstsein" und "Unterbewusstsein" unterscheide?!

Nun, das Unterbewusstsein ist, obgleich wir keinen direkten Zugriff auf seine Inhalte haben und seine Mechanismen uns weitgehend verborgen bleiben, letztlich eben doch dem "Ich" oder "Selbst" zuzurechnen!

Unter "System" verstehe ich, wie in nachfolgenden Absätzen näher erläutert, jene neuronalen und somit physikalischen Schaltkreise und Schleifen, welche die "Schweißnaht" des Übergangs von Materie zu Geist bilden!

 

KAPITELÜBERSICHT

 

 

Kapitel II

 

Die 4 GRUND-PERSPEKTIVEN  DES  SYSTEMS

 

INFORMATION:

ALLGEMEINE UND ERWEITERTE BEGRIFFSDEFINITION

Im Allgemeinen versteht man unter einer Information etwas, dass ein Beobachter wahrnimmt. Der PC vor mir auf dem Tisch, der Arbeitskollege der mir gegenübersitzt, das Wissen das in einer Stunde ein Bekannter anrufen will,... Dies alles entspricht einer Information im allgemeinen Sinne. Man differenziert also zwischen einem Subjekt, Informationen die das Subjekt wahrnimmt, Kanälen oder Wegen, über welche die Information in den Wahrnehmungsbereich des Subjekts gelangt und kognitiven Prozessen, mittels derer das Subjekt Informationen verarbeitet.

Betrachten wir den Informationsbegriff an dieser Stelle aber in einem etwas erweiterten Zusammenhang und verzichten teilweise auf die o.g. Unterscheidungen. Um dies zu verdeutlichen, betrachten wir das Sprichwort: "Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!" Dies besagt im Grunde: nur wahrgenommene Informationen können eine Wirkung haben und das wahrnehmende Subjekt beeinflussen. Der Umkehrschluss allerdings wäre obsolet, nämlich: "Was mich beeinflusst oder auf mich einwirkt, muss mir auch zwingend bewusst sein bzw. ich muss es auch zwingend wahrnehmen (oder im Vorfeld wahrgenommen haben)?! Zahllose Beispiele des täglichen Lebens widersprechen dem! Werde ich während eines Waldspaziergangs angeschossen, weil mich ein Jäger mit einem Wildschwein verwechselt, bin ich mit der Wirkung der Gewehrkugel konfrontiert. Meine Unwissenheit gegenüber der Gefahr hat die Wirkung in keinerlei Weise gemindert!

 

Im erweiterten Sinn beinhaltet der Informationsbegriff auch die Zustände des Subjektes (Aufmerksamkeit, Interesse, Müdigkeit,..) bzw. die Zustände des neuronalen Systems, innerhalb dem sowohl die Psyche des Subjekts (seine Selbst-Repräsentation) als auch dessen Wahrnehmungsinhalte und (Re-)aktionen auf Wahrnehmungsinhalte generiert und repräsentiert werden. Ein Beispiel: Ein Tropfen Alkohol befindet sich in der Blutbahn. Er ist Teil der physikalischen Realität. Nun überwindet er die Blut-Hirn-Schranke und dringt in Nervenzellen ein. Er wird nun zu einer "Information" weil er den Zustand einzelner Neurone verändert, die darauf hin auf veränderte Weise mit den Netzwerken interagieren, in die sie integriert sind  (ihre synaptische Verbindungsstärke könnte sich bspw. vorübergehend ändern).

Stellen wir uns einen externen Beobachter vor, der uns im Prozess des Wahrnehmens und Denkens seinerseits wahrnimmt, und alle Parameter kennt, die uns verborgen sind. Er kann z.B. wissen aus welcher Quelle ein Gerücht stammt (und ob es überhaupt stimmt), von dem wir hingegen nur wissen, dass es existiert. Er kann wahrnehmen, dass wir z.B. im Augenblick gelangweilt, zornig, neugierig oder apathisch sind (alles mögliche Zustände, derer man sich selber nicht unbedingt vollumfänglich bewusst ist). Aus "seiner Perspektive" wären alle vorhandenen Parameter unseres Erlebens eine "Information" während sie für uns selbst funktionale "Umstände" oder "Bedingungen" darstellen, unter denen wir eine Information wahrnehmen.

 Der innere Beobachter, das eigene Selbst ist zwar die zentrale Information innerhalb des Gehirns, nicht aber die zentrale Funktion! Das phänomenale Selbst des Subjekts ist eine Institution innerhalb der Gesamt-System-Prozesse! Die Existenz- und Identitätsvorstellung beruht auf Empfindungen, die aus Körperzuständen bzw. deren Schwankungen (Kontrastwahrnehmung!) generiert werden.

 

 

Abb.25: Sinnesinformation und Körperempfindung

 

 

 Es existieren reale Objekte in der äußeren Wirklichkeit (grüne Objekte rechts in Abb.25). Der Körper des Beobachters ist ebenfalls ein reales Objekt, ebenso seine Sinnesorgane (Augen, Ohren, Nase, Tastsinn, Geschmackssinn und Gleichgewichtsorgan im Mittelohr) über die sein Gehirn Informationen über die Außenwelt erhält. Diese Informationen über die Außenwelt werden auf neuronaler Ebene repräsentiert. Andere Informationen für das Hirn kommen aus dem Körper selbst. Es empfängt ständig Zustandsberichte von inneren Organen und Rezeptoren in allen möglichen Gelenken und Oberflächenregionen. Die Sinnesorgane haben eine Doppelfunktion: Sie sind Teil des Organismus und der körperbezogenen Selbst-Repräsentation (meine Hand ist ein Teil meiner Selbst-Repräsentation), zugleich sind sie Informationsquellen über die Außenwelt (mit meiner Hand kann ich die Oberflächeneigenschaften von Objekten erfühlen). Das eigene ICH (Selbst-Bild, Selbst-Vorstellung, Identitätsempfindung, etc.) ist - wie alle anderen neuronal repräsentierten Informationen - kein reales Objekt der materiellen Wirklichkeit! Es entspricht ebenfalls dem Ergebnis neuronaler Verarbeitungs- Prozesse! Seine Repräsentation ist ungleich aufwändiger als jene aller anderen Informationen! Der große Kreis auf dem Hals der Person im Bild soll das biologische neuronale System (Gehirn) darstellen. Es ist so real und materiell wie der Baum, das Haus und das Auto, die über seine Sinnesorgane wahrgenommen werden. Die beiden inneren Kreise stellen den unbewussten (blau) und bewussten Anteil (rot) der Ich-Repräsentation dar. Wäre ich ein Tier unterhalb der Stufe hoch komplexer Säuger oder Vögel, befände sich keine ICH- Repräsentation in meinem Hirn! Ich würde rein affektiv wahrnehmen und auf Umweltreize reagieren. Aus der "Sicht" des Gesamtsystems ist mein ICH eine Parallel-Wahrnehmung zu anderweitigen Repräsentationen. Mein "ICH" ist aus der "Sicht" des Gesamtsystems im Gegensatz zu "banalen" Objekt-Repräsentationen der äußeren Wirklichkeit nur abstrakt vorhanden (weil das "ICH" wie erwähnt durch weitaus komplexere Prozesse generiert werden muss). Die mentale Auseinandersetzung des ICH`s mit externen Wahrnehmungsinhalten wäre aus der "Sicht" des Gesamtsystems sogar noch abstrakter. Aber in den neuronalen Strukturen des Gesamtsystems unterhalb der kohärenten Ich-Repräsentation existiert keine "Sicht", keine bewusste "Perspektive". Da gibt es allenfalls darwinistische Prozesse, die unter strikt ökonomischen Gesichtspunkten um die Vorherrschaft einer Perspektive (unter mehreren parallel um Realisierung ringenden Perspektiven) kämpfen! Die Art bzw. Funktion der unmittelbar nachfolgenden (Meta-)perspektive ist eigentlich sogar determiniert, es sind eher die betreffenden möglichen Inhalte, die darwinistisch selektiert werden.

Das Gesamt-System hat also im Gegensatz zum ICH keine Perspektive, es generiert vielmehr Perspektiven. Wenn ich nachfolgend postuliere, das gesamte Wirklichkeits- und Selbsterleben des Menschen würde aus nur 4 Grund-Perspektiven (bzw. deren Überlagerungs- und Kontrastzuständen) bestehen, dann meine ich nicht, dass vom Hirn und vom Subjekt (ICH) lediglich 4 generelle Arten von Informationen wahrgenommen und verarbeitet werden könnten! Ich spreche von Impulsen innerhalb vom Gesamtsystem, welche in die verschiedenen Schichten des Bewusstseins und auch der Selbst- Repräsentation vordringen und dort in kurzer aber regelmäßiger Abfolge 4 generelle Zustandsempfindungen oder Meta-Perspektiven erzeugen, innerhalb derer wiederum in der Tat alle erdenklichen Arten von Informationen in verschiedenen Ausprägungsgraden dargestellt werden können.

Das Gesamtsystem definiert "Vollständigkeit" (ebenso "Widerspruchslosigkeit" und "Eindeutigkeit") von Informationen jeglicher Art nach zeitlichen Kriterien, das bewusste ICH hingegen nach inhaltlichen Kriterien. In Phasen, in denen das bewusste ICH keine starken vordergründigen Motive hat, wird mir als wahrnehmendem Subjekt vom "Gesamtsystem" mitgeteilt, "um was es gerade geht", auf was sich also meine Aufmerksamkeit richten oder nicht richten soll, welche Emotion oder welches Motiv vorliegt, ob und welche Handlungsaufforderung besteht, etc.

 

Wir unterscheiden also ganz allgemein zwischen dem "System Gehirn", dem biologisch-neuronalen Gesamtapparat der Informationsverarbeitung und dem Selbst oder dem ICH als eine besondere Konstante innerhalb dieser Prozesse, die gleichsam Information als auch ein besonderes Mittel der (weiteren) Informationsverarbeitung ist! Mit konstant soll nicht etwa Stabilität oder gar Unveränderlichkeit des Selbst gemeint sein, sondern die Tatsache, dass es fortwährend, zumindest jedenfalls über die meisten Wach- und Remschlafphasen hinweg, überhaupt latent in einer gewissen Mindestfunktionsstärke erzeugt bzw. aufrecht erhalten wird (unbeschadet schwankender Ausprägungsgrade und wechselnder Inhalte)!

Was "will" das System?

Wie allen physikalischen Systemen bzw. allen chemischen und biologischen Vorgängen wohnt natürlich auch dem "System Gehirn" an sich kein "Wille" oder "Vorsatz" inne, wohl aber eine von Energieniveaus bestimmte Eigendynamik!

Das System "will" die Lebensfunktionen des Körpers aufrechterhalten, es strebt nach einem homoösthatischen Gleichgewicht. Dies bedeutet, dass alle Organ- und Stoffwechselfunktionen (Hormone, Blutdruck, Atmung,.....) sich innerhalb bestimmter, dem Über/-lebensvorteil zuträglichen Skalenwerte befinden und idealer Weise auch aufeinander abgestimmt sind. Fernerhin simuliert das System Gehirn die Zukunft, es generiert Bilder möglicher Entwicklungsverläufe, sowohl des Körpers, als auch der Umwelt. Um den Überlebensvorteil nachhaltig zu gewährleisten, gilt es nicht nur, günstige Korrelationen an Aktivität und Funktionsstärke zwischen verschiedenen Organsystemen zu ermitteln und zu regulieren, sondern fernerhin, den Organismus vor gefährlichen (gegenwärtigen oder künftigen) Umweltereignissen zu bewahren. Zu diesem Zweck werden auch die Wahrnehmungsperspektiven generiert und ausgerichtet.

 

Was will das Selbst?

Das Selbst entspricht einer höheren Instanz der neuronalen Informationsverarbeitung. Ob real oder illusorisch- jedenfalls zeichnet es sich durch etwas aus, dass entweder tatsächlich einem freien Willen entspricht oder sich zumindest so anfühlt! Das Selbst denkt, bewertet, entscheidet, es ist schlichtweg SUBJEKTIV, d.h. es bezieht Informationen auf sich selbst. Zunächst einmal hat das Selbst oder das eigene Ich eine große "Interessensüberschneidung" mit dem Gehirn an sich. Ich strebe entweder nach Sicherheit ("Defensivmodus") oder nach Kontrolle, Einfluss, oder - etwas pathetisch ausgedrückt- nach "Macht" ("Offensivmodus"). Die beiden Möglichkeiten bedeuten, dass ich entweder durch Anpassung an die Umwelt oder durch Manipulation der Umwelt (bzw. der Anpassung der Umwelt an mich) versuche, die eigenen Bedürfnisse bestmöglich zu befriedigen. 

Sämtliche (einfache wie höhere) geistige Funktionen dienen fundamental dem Zweck der Lebenserhaltung. Die jeweiligen Vorteile sind offensichtlich! Sich an viele Dinge erinnern zu können (Gedächtnis), sich viele Szenarien vorstellen und Zwischenergebnisse speichern zu können (Vorstellungskraft, analoges und abstraktes Denken - beruhend auf Arbeitsgedächtnis und Aktualbewusstsein), Informationen auf die eigene Person beziehen zu können (Bewusstsein, Subjektivität), sich auch vor dem Hintergrund einer vielfältigen und unüberschaubaren Informationsmenge entscheiden zu können (Emotion, "Bauchgefühl" bzw. "somatischer Marker"), sich in Artgenossen geistig hineinversetzen zu können (Empathie,), usw. All diese Fähigkeiten stärken unsere Position gegenüber all jenen Lebensformen, die ein weniger komplexes Gehirn haben und über diese Leistungen nur sehr eingeschränkt verfügen.

 

Gedankenexperiment: Stellen wir uns folgendes vor: Wir gehen morgens zur Arbeit und öffnen gerade unsere Bürotür. Dahinter befindet sich diesmal aber nicht unser Schreibtisch, nicht unser PC, nicht die Akten in den Wandregalen, etc. Statt dessen werden wir völlig unerwartet mit einer vollkommen fremdartigen, "verrückten" Situation konfrontiert. Vor uns stehen ein grün angemaltes Nashorn, ein Gorilla und ein Indianer, der mit zwei Tomahawks jongliert.

Wie würden wir auf unbewusster und bewusster Ebene auf die Konfrontation mit einer derartig unerwarteten Situation reagieren?

Ich denke es gäbe mindestens 4 seriell ablaufende Reaktionsmuster:

1. Reflexive Resonanz

In diesem Stadium dominieren Überraschung und Erschrecken. Noch ehe wir erkennen was sich wirklich vor uns befindet, registrieren wir zunächst nur Eines: Hier ist etwas vollkommen anders (als gewöhnlich)! Jegliche un- und vorbewusste Erwartungshaltung  ist gnadenlos durchkreuzt (das Unterbewusstsein erstellt unablässig Prognosen über mögliche Inhalte der unmittelbar folgenden Zukunft). Ein genereller Alarmzustand wird ausgelöst. Diese Phase währt nur geringste Sekundenbruchteile.

 

2. Affektive Resonanz

In diesem Stadium erkennen wir konkrete Inhalte. Wir erkennen den Indianer, das Nashorn und den Gorilla. Wir merken nicht nur, das wir vor einer völlig anderen Situation stehen, es bildet sich vielmehr ein Bewusstsein um den Grad der Abweichung zwischen der realen und der vorbewusst prognostizierten Situation.

 

3. Kognitive Resonanz

Nun haben wir eine eigene mentale Position gefunden, wir befinden uns jetzt mit der Kraft und den Fähigkeiten unseres kognitiven Apparates innerhalb der Situation. Wir generieren den Selbst-Bezug zu dieser Situation und merken, dass es hier etwas zu klären gibt. Die ersten konkreten Gedanken entstehen: "Warum stehen der Indianer und diese Tiere in meinem Büro?" "Welche Ursache könnte dahinter stecken?"

 

4. Kognitive Reaktion

Aus den ersten Gedanken werden konkrete Entscheidungsprozesse. Nun beginnen wir systematisch Informationen zu generieren, die zur Aufklärung des Sachverhaltes führen könnten. Wir entwerfen Hypothesen über die möglichen Ursachen und vergleichen sie miteinander. Wir interagieren nun zu diesem Zweck auch ggf. mit der Umwelt. Wir bitten den Indianer, die Tomahawks mal kurz beiseite zu legen und erkundigen uns vorsichtig, ob die Tiere ev. bissig oder angriffslustig sind.

 

In unserem Alltag werden wir zum Glück nur selten mit völlig befremdlichen, sich außerhalb jeglicher Erfahrungswerte und jeglicher Erwartungshaltung befindlichen Situationen konfrontiert. Dennoch unterliegt unsere "banale" Alltags-Wahrnehmung ständig Zyklen, innerhalb derer sich die perspektivische Grund-Wahrnehmungsart ändert, so wie es im obigen Beispiel überspitzt dargestellt wurde.

Man darf sich das nicht so vorstellen, dass der Wechsel dieser Perspektiven bzw. die Abfolge von Zyklen dieser Perspektiven unsere Erlebensprozesse, unser Identitätsempfinden und unsere Wahrnehmungsinhalte wie in Bild  26 "zerhacken" würden! Dann nämlich wäre auch gar kein sinnvolles, zusammenhängendes Wahrnehmen und Erleben möglich!

 

 

       Abb.26 u. 27: Linkes Bild: Der Wechsel von Perspektiven  führt nicht zur "Trennung" von Wahrnehmungsinhalten. Diese können  "unbeschadet" in die folgende Perspektive übernommen werden bzw. auch innerhalb der Übergangsmomente ihren grundlegenden inhaltlichen Charakter beibehalten (rechtes Bild). Dennoch hat die relative zeitliche Position eines Wahrnehmungsinhaltes zum jeweiligen Funktionswechsels der Grundperspektiven sehr wohl Konsequenzen auf die Art des Wahrnehmens!

 

 

 

GRUND-WAHRNEHMUNGS-PERSPEKTIVEN:

Es gibt 4 zentrale Wahrnehmungsstufen auf Empfindungs-Ebene! Es handelt sich um Funktionen, sie werden nicht als inhaltliche Informationen, sondern als Zustände bzw. als Kontraste zwischen Zuständen erlebt.

Würde man sie in semantische Informationen übersetzen, hätten diese allgegenwärtigen und sich überlappenden Grundperspektiven folgende Inhalte oder "Aussagen":

1. "Ich existiere"

2. "Ich befinde mich in einer bestimmten Situation"

3. "Ich befinde mich in einem Ereignis bzw. einer sich verändernden Situation" (passive Variante) oder: "ich habe eine Aufgabe innerhalb der Situation zu erfüllen" (aktive Variante)

4. "Ich habe die Aufgabe bewältigt" (oder: "Ich habe verstanden" oder: "Ich habe integriert").

 

Ich wiederhole: Wir treten jetzt einen Schritt hinter den Beobachter, hinter die Selbst-Repräsentation bzw. das "ICH"! Diese Grund-Perspektiven sind keine Informationen über die der Beobachter direkt verfügt oder die er generiert! Sie befinden sich im Gesamt-System und definieren den Zustand oder die Intentionalität des Beobachters im Vorfeld bzw. im Augenblick seines bewussten Erlebens. Der Beobachter beruft sich in seinem Wahrnehmen, Denken und Handeln unbewusst auf diese System-Empfindungen und integriert seine Erfahrungen im Kontext zur zyklischen Abfolge dieser Grund-Informationen!

Die Präsenz dieser Grund-Wahrnehmungs-Perspektiven erfolgt innerhalb zweier Achsen:

1. Horizontale Achse: Damit ist die zeitliche Achse gemeint, also die wellenartige, abwechselnde Funktionsstärke bei grundsätzlich gleichzeitiger Aktivierung (und die damit einhergehende Kontrastwahrnehmung).

2. Vertikale Achse: Damit ist die Achse der Impuls-Entstehung in tiefsten Schichten des Gesamtsystems und deren Ausdehnung bis in die expliziten Funktionsschaltkreise des ICH`s gemeint: Die "Eruptionswellen" dringen (zeitversetzt) bis in die höheren Ebenen des bewussten Erlebens vor und knüpfen sich dort an Inhalte des bewussten Wahrnehmens und Erlebens.

 

ERSTE GRUND-PERSPEKTIVE: DAS EXISTENZ-GEFÜHL

Das Existenz-Gefühl resultiert primär aus Körperwahrnehmungen auf Empfindungsebene!

Viele interne Wahrnehmungssysteme befassen sich ausschließlich mit Körperwahrnehmungen, aus denen im Wesentlichen auch unsere Selbst-Wahrnehmung, unser Existenz- und Identitätsempfinden resultiert!

Da gibt es z.B. einen Regelschaltkreis, der den Blutzucker-Spiegel reguliert. Ein abfallender Blutzuckerspiegel lässt uns Hunger verspüren und wir werden uns darum bemühen, dem Körper Nahrung zuzuführen. Atmung, Herzschlag, Verdauung und Müdigkeit werden ebenfalls durch Hirn-Körper-Regelschaltkreise reguliert. Der neuronale Teil dieser Schaltkreise befindet sich im Stammhirn, dem verlängerten Rückenmark. Über diesen stammesgeschichtlich ältesten Teil des Hirns verfügen auch Reptilien. Bei diesen Wesen erfüllt es dieselben Aufgaben. 

 Dieser Teil der Körperwahrnehmung, der dem Hirn Informationen über Organtätigkeiten bzw. Organfunktionszustände übermittelt, bezeichnet man als Viszerozeption.

Körperwahrnehmungen beziehen sich natürlich nicht allein auf vegetative Zustände und werden mitnichten nur im Stammhirn verarbeitet.

Die sog. Propiozeption ist jener Teil der selbst- und körperbezogenen Wahrnehmungen, der dem Hirn (natürlich auch unserem ICH) Auskunft über Körperbewegungen und die Lage des Körpers im Raum vermittelt.

Zahllose  Propiozeptoren in sämtlichen Körpergelenken sorgen für eine starke Oberflächen- und Tiefensensibilität und vermitteln einem bestimmten Teil der Großhirnrinde (dem "Orientierungs-Assoziations-Areal" oder einfach "OAA") wo der Körper endet, wo die Außenwelt beginnt, in welcher Winkelstellung sich unsere Gelenke und wo sich somit unsere Gliedmaßen befinden. Zudem hat die Oberfläche eines jeden Körperteils im Neuralnetz des sog. "sensorischen Kortex" der Großhirnrinde eine maßstabsverzerrte Entsprechung. Druck - und Temperatursensoren auf der Hautoberfläche (insbesondere auf Handflächen und Fußsohlen) geben im Zusammenspiel mit dem Gleichgewichtsorgan im Mittelohr präzise Auskunft über unseren Bodenkontakt oder unterstützen die Berechnung der optimale Griffstärke, um z.B. nach einer Tasse Tee zu greifen.

Der Wesentliche Aspekt der Existenzempfindung liegt in der Kontrast-Wahrnehmung! Ob ich einen hohen oder niedrigen Blutdruck habe, weiß ich i.d.R. überhaupt nicht! Das kurzfristige Ansteigen oder Abfallen eines niedrigen/hohen Wertes in die andere Richtung der Skala hingegen würde ich ziemlich sicher feststellen (etwa durch Schwindel, Übelkeit, Sehstörungen, u.a.).

 

 

VERSUCH EINER FALSIFIZIERUNG DES EXISTENZEMPFINDENS

Nachfolgendes Bild soll beispielhaft einen neuronalen Regelschaltkreis für Körperregulation darstellen. Sagen wir mal rein beispielhaft, es wäre das Regulierungssystem für das Sättigungsempfinden.

 

Abb.28: Einzelnes Regulierungssystem

 

Wenn der Blutzuckerspiegel fällt, gleitet der Schieberegler von der Mitte der Skala nach unten. Das Sättigungsempfinden steht auf Hunger. Dies wird der zuständigen Instanz im Hirn gemeldet (grüner Punkt). Diese veranlasst mich durch ein bewusstes Hungergefühl zur Nahrungsaufnahme. Mit zunehmenden Sättigungsgrad geht der Schieberegler darauf hin nach oben.

 

 

In nachfolgendem Bild sind 3 solcher Regulierungssysteme dargestellt, die funktional miteinander in Verbindung stehen.

 

 

Abb.29:  verknüpftes Regulierungssystem

 

Diese Systeme arbeiten also nicht für sich allein, sondern treffen ihre "Entscheidungen" auch infolge von Zustandsberichten der jeweils anderen Systeme. Sie kommunizieren direkt miteinander. Das wäre in etwa so, als würden Hunger- und Sättigungsempfindung nicht nur vom Insulinspiegel, sondern sagen wir zusätzlich auch von der momentanen Körpertemperatur, dem Ermüdungsgrad oder der Herzfrequenz abhängen (es geht hier nicht um Authentizität, ich versuche nur ein Beispiel zu kreieren!). Der Nachteil dieser Variante: Jedes System muss zu seiner eigenen Aufgabenbewältigung noch Informationen aus zwei weiteren Quellen integrieren.

 

 

 Abb.30: Regulierungssystem mit Steuereinheit

 

In obigem Bild (Abb. 30) wurde der Mechanismus um eine Instanz (A) erweitert. Sie sammelt den Input aller 3 Systeme, wandelt diesen nach internen Regeln in eine einheitliche Größe um und beliefert die einzelnen Subsysteme mit einem vereinheitlichten Wert. Vorteil: Jedes System hat nur noch die Information aus einer (einzigen) zusätzlichen Quelle zu integrieren. Wir gehen dabei von folgendem Sachverhalt aus: Die unteren Systeme liefern ihre Informationen nicht gleichzeitig, sondern nacheinander an Instanz A! Sie erhalten hingegen ihren Steuerbefehl von Instanz A gleichzeitig in einem einzigen kurzen Impuls!

Wer "gewaltsam" nach einer Begründung verlangt, wie völlig unterschiedliche Informationen (wie z.B. Körpertemperatur, Sättigung, Müdigkeit, Herzfrequenz, Atemfrequenz, etc.) in einen "einheitlichen Wert" überführt werden könnten, dem würde ich folgende Möglichkeit anbieten: Die Instanz A könnte einfach "nur" prüfen, ob aktuell die Mehrheit der einzelnen Subsysteme auf Erregung oder Beruhigung geschalten ist und dann einen gegenteiligen Impuls an die "Allgemeinheit" zurückschicken. Ferner muss der Impuls aus Instanz A ja keinem "totaler Befehl" für die Funktion der Subsysteme entsprechen, sondern mglw. nur einem (gleich- oder minderberechtigten) Faktor für deren nächste Aktion.

 

In folgendem Bild (Abb. 31)verändern wir den Mechanismus durch Hinzufügen einer weiteren Instanz (B), welche ihren Input von Instanz A bezieht und seine "Steuerbefehle" anschließend an die 3 unteren Systeme erteilt.

 

Abb.31: Regulierungssystem mit 2 Steuereinheiten

 

Wie gesagt: Die unteren Systeme sind zeitlich nicht gleich getaktet! Die Informationen mit denen Instanz A gefüttert wird, sind zeitlich korrekt, weil sie zwar nacheinander aber in "Echtzeit" eintreffen. Die Information die Instanz B erhält, sind inhaltlich korrekt, weil sie den Gesamtzustand sämtlicher 3 Systeme repräsentiert. Dafür sind es aber keine "Echtzeit-Informationen".

Hierzu eine kleine Analogie: Ein Hauptmann muss mit seinen Einheiten auf dem Schlachtfeld einen feindlichen Angriff abwehren. Es gibt 3 Frontabschnitte. In regelmäßigen Zeitpunkten treffen Kradmelder ein, die ihm die aktuelle Situation am jeweiligen Frontabschnitt schildern. Der Hauptmann steht vor folgendem Problem: Er kann auf jede Einzelinformation direkt reagieren und sofort Maßnahmen ergreifen. Der Nachteil: Er kennt die Gesamtsituation noch nicht. Er kann auch warten bis alle 3 Kradmelder vorgesprochen haben und nun auf die Gesamtsituation reagieren. Der Nachteil: Zwischenzeitlich könnten sich am ersten Frontabschnitt die Ereignisse längst überworfen haben und eine angemessene Reaktion kaum noch möglich sein.

 

In folgendem Bild (Abb.32) wird der Gesamtmechanismus ein letztes Mal erweitert.

 

Abb.32: Rückkoppelndes Regulierungssystem mit 3 Steuereinheiten

 

Wir wissen: Die unteren Systeme liefern ihre Informationen nacheinander an Instanz A, wo sie gebündelt und vereinheitlicht werden. Über Instanz B erhalten sie anschließend gleichzeitig einen Steuerbefehl. Dies benötigt natürlich etwas Zeit, da zwei Instanzen in diese Schleife integriert sind. Wir kennen das Problem des Hauptmanns aus obiger Analogie: Ist es besser, sofort auf eine Einzelinformation zu reagieren oder besser, mit einer unvermeidlichen zeitlichen Verzögerung auf die Gesamtlage zu reagieren?! Beides kann sich im Nachhinein als richtig oder falsch herausstellen!

 

Diese Schwachstelle wird von Instanz C teilweise kompensiert! Instanz B sendet - wie gehabt - ihren Output weiterhin an die tieferen Subsysteme, nun aber zusätzlich an Instanz C. Die Information, die C erhält, ist eine Art "Reflexion" über den letzten inhaltlich vollständigen Zustandsbericht. Und dieser letzte Bericht geht nun in einer separaten Schleife wieder zurück an Instanz A, während ebendiese Instanz A weiterhin und gleichzeitig die tatsächlichen Zustandsberichte der unteren Systeme in Echtzeit erhält. Die "Erinnerung" des letzen inhaltlich vollständigen Lageberichts wird mit den neu eintreffenden Echtzeit-Einzelberichten zusammengefügt. Dadurch wird die Generierung eines neuen Gesamtberichtes erleichtert. Die Erinnerung der unmittelbaren Vergangenheit wird somit zur Prognose der unmittelbaren Zukunft und zusätzlich mit aktuellen Echtzeit-Informationen aus den unteren Systemen vereint. Das verhält sich in etwa so, als stünde unserem Hauptmann ein Adjutant zur Seite, der die Meldung eines jeden neu eintreffenden Kradmelders (betreffend einzelner Frontabschnitte) mit einer ergänzenden Bemerkung über die letzte bekannte Gesamtsituation kommentiert. Dieser Kreislauf entwickelt ein sehr erstaunliches Eigenleben: An verschiedenen Punkten dieses Mechanismus befinden sich Informationen in verschiedenen Zuständen: Einzel- oder Gesamtinformation, zeitlich oder inhaltlich korrekte Information, Erinnerung oder Zukunftsprognose. Sie alle beziehen sich auf dieselbe Sache, insbesondere aber auf sich selbst! Die Existenz unseres menschlichen Bewusstseins resultiert (wenn man nicht gerade eine übernatürliche Seele postuliert) aus der Funktion reentrant rückkoppelnder Subsysteme, die auf sich selbst aufmerksam werden. Durch deren Überlagerung bildet sich eine Art Schwerpunkt, den wir für unser eigenes Selbst erachten! Das System erfindet sich selbst und bezeichnet sich als ICH! Allerdings nur, wenn wir in einem menschlichen Umfeld aufwachsen, eine Muttersprache erlernen und im Kleinkindalter mit autobiographischem Input gefüttert werden.

 

 

  Das Existenzgefühl ist also eine von den (hier postulierten) 4 elementaren Grund-Perspektiven, über die das Gesamt-System (weniger speziell das Subjekt) verfügt. In unserem alltäglichen Erleben stellt die Grundperspektive des Existenzempfindens "nur" einen "Gesamtrahmen" für unsere Selbst- und Umweltwahrnehmungen bereit. Ich erinnere noch einmal an das imaginäre Beispiel mit dem Indianer und den Großwildtieren, die wir unerwartet in unserem Büro vorfinden. Die Informationen, die durch die Existenzempfindung geliefert werden, entsprechen hierzu analog dem "Erschrecken", der "reflexiven Resonanz". Diese Perspektive sagt mir nur, dass ich selber existiere und dass es abgesehen von mir selbst noch andere Dinge gibt (die nicht dem eigenen Ich zugehörig sind)!

 

 

Abb.33: Die dem Existenzempfinden entsprechende Grund-Perspektive stellt "nur" den Gesamtrahmen des Erlebens bereit.

 

 

 

ZWEITE GRUND - PERSPEKTIVE: DIE WAHRNEHMUNG EINER SITUATION

Um mich herum gibt es eine Außenwelt. Sie betrifft im Grunde das ganze restliche Universum, alle Inhalte der physikalischen Realität außer mir selbst. Sinniger Weise erachtet man davon aber jene Teilmenge an Objekten und Ereignissen als die "Äußere Gesamtsituation" (ÄGS) die zu einem aktuellen Zeitpunkt X auf mich einwirkt oder mit der ich in Wechselwirkung stehe. Vielleicht besser: Den Anteil der (physikalischen) Wirklichkeit, den ich zum betreffenden Zeitpunkt wahrnehme oder infolge meiner aktuellen Perspektive und Lokalisation zumindest wahrnehmen könnte. Oder ganz salopp gesagt: sie entspricht meinen derzeitigen theoretisch größtmöglichen Wahrnehmungsbereich. Man könnte die Definition weiter ausformen und z.B. um den persönlichen "Macht- oder Einflussbereich" erweitern. Dies brächte für die nun folgenden Betrachtungen aber nur unverhältnismäßige Komplikationen. Allein schon der Versuch, den räumlichen Radius des Wahrnehmungsbereichs zu bestimmen, wäre heikel. Die Sonne etwa ist 7 Lichtminuten (d.h. verdammt viele Kilometer) von mir entfernt. Die auf sie zurückzuführenden Licht- und Temperaturverhältnisse sowie die Sonne selbst,  nehme ich (je nach Bewölkung) trotz der immensen Entfernung mühelos wahr, die Katze im Nebenzimmer hingegen nicht.

 

 

Abb.34: Die äußere Gesamtsituation beinhaltet alles, was sich innerhalb eines Augenblickes innerhalb meines theoretisch größtmöglichen Wahrnehmungsraumes liegt, fernerhin alles, was tatsächlich auf mich einwirkt oder mit dem ich in Wechselwirkung stehe. Die ÄGS ist also physisch-real!

 

Ich selber wiederum verfüge über einen inneren Gesamtzustand oder eine innere Gesamtsituation (IGS), mit der ich mich augenblicklich innerhalb einer aktuellen äußeren Gesamtsituation (ÄGS) befinde.

 

 

Abb.35: Das Erleben der äußeren Gesamtsituation erfolgt unter den Bedingungen einer inneren Gesamtsituation heraus.

 

Innerhalb meiner inneren Gesamtsituation (also dem Milieu meiner Gefühle, Stimmungen, Gedanken, etc.) befindet sich wiederum eine Repräsentation, eine Abbildung der (realen, physikalischen) äußeren Gesamtsituation. Sie spiegelt alle Inhalte der äußeren Gesamtsituation wieder, die ich aktuell wahrnehme. Allerdings abzüglich jener Dinge, die ich infolge biologischer und psychologischer Filter oder schlichtweg aufgrund der begrenzten Kapazität meiner Sinnes- und sonstigen Wahrnehmungskanäle nicht erfassen kann und zuzüglich von Inhalten, die ich gedanklich bzw. durch Vorstellung in diese Repräsentation der ÄGS hineinprojiziere (im Extremfall Halluzinationen).

 

 

Abb.36: Innerhalb der inneren Gesamtsituation befindet sich eine Repräsentation der äußeren Gesamtsituation. Es handelt sich um eine Information über die physische (mich augenblicklich umgebende) Gesamtwirklichkeit, erweitert um gedanklicher Projektionen und reduziert um Dinge, die meiner Wahrnehmung aus Kapazitätsgründen entgehen.

 

 Meine innere Gesamtsituation (IGS) wird auf zweierlei Art von außen beeinflusst: Zum Einen gibt es in der äußeren Gesamtsituation Sachverhalte, die mich direkt beeinflussen und zwar unabhängig davon, ob ich sie bewusst erlebe oder wahrnehme! Vorhin erwähnte ich die Sonne: Licht- und Temperatur wirken sowohl direkt auf meinen Körper ein, als auch in der bewussten Wahrnehmung, dass es hell oder kühl ist. Hierzu ein anderes Beispiel: Wenn jemand von hinten einen Stein auf mich wirft (und trifft), wird sich meine innere Gesamtsituation infolge der Konsequenzen, die mein Körper dadurch erleidet, verändern. Ich habe den Steinwerfer und sein Geschoß in diesem Fall nicht gesehen oder anderweitig wahrgenommen. Wenn ich hingegen sehe, dass jemand einen Stein auf mich werfen will, wird sich meine innere Gesamtsituation ebenfalls verändern. Diesmal nicht unmittelbar, sondern infolge einer Wahrnehmung die sich innerhalb der Repräsentation (des inneren Abbildes) der äußeren Gesamtsituation widerspiegelt. Das heißt: Sowohl die tatsächliche äußere Gesamtsituation als auch die Repräsentation der äußeren Gesamtsituation beeinflussen meine innere Gesamtsituation.

Konsequenter Weise müsste man hier, analog zur Gegenüberstellung von (realer) ÄGS und einer Repräsentation der ÄGS auch zwischen einer realen inneren Gesamtsituation und einer Teilmenge an bewussten Inhalten hieraus unterscheiden. Davon soll an dieser Stelle aber abgesehen werden.

Inhalte des inneren Erlebens und (der Repräsentation) der äußeren Gesamtsituation können sich grundsätzlich parallel und unabhängig voneinander verändern, vergleichbar mit Zügen, die auf verschiedenen Gleisen nebeneinander herfahren.

Ich kann nacheinander an verschiedene Dinge denken und gleichzeitig verschiedene Ereignisse in der Außenwelt wahrnehmen oder erleben, ohne dass sich die jeweiligen Inhalte nennenswert beeinflussen oder gar gegenseitig bedingen oder verhindern. Ich denke z.B. gerade an Einzelheiten meiner nächsten Urlaubsplanung. Gleichzeitig sehe ich (beiläufig im Vorübergehen), wie ein Baum im Stadtpark von Bauarbeitern umgesägt wird.

Inhalte der inneren Gesamtsituation (IGS) und Innhalte der Repräsentation der äußeren Gesamtsituation können sich aber auch wechselseitig beeinflussen, in Abhängigkeit zueinander stehen oder sich sogar gegenseitig kausal bedingen, analog zu einem Güterzug, der verschiedene Bahnhöfe ansteuert und jeweils einzelne Waggons abkoppelt oder anhängt.

Würde der o.g. Baum, der gerade gefällt wird, plötzlich in meine Richtung fallen, würden wahrnehmungs- und kognitive Vorgänge, die sich auf Inhalte des inneren Erlebens beziehen (in diesem Fall die Urlaubsplanung) abrupt unterbrochen und ich würde nur noch auf das Ereignis in der äußeren Situation reagieren (um im konkreten Fall zu verhindern, vom Baum getroffen zu werden).

Es hätte aber auch sein können, dass mich die Baumfällerei "einfach nur so", also "zufällig" interessiert hätte, ich meine Gedanken an den Urlaub ohne kausal zwingenden Anlass beendet oder zumindest unterbrochen und einfach nur den Arbeitern zugesehen hätte. Warum wurden in diesem Fall meine inneren Wahrnehmungs- und Erlebensprozesse von Inhalten der äußeren Gesamtsituation (genauer gesagt deren Repräsentation) verändert oder unterdrückt?

 Es gibt subtile und diskrete "Zeitfenster", innerhalb derer das Gehirn Ist-Zustände, sowohl der aktuellen repräsentierten äußeren, als auch der (funktionalen) inneren Gesamtsituation definiert, also sich soz. für die jeweiligen Inhalte und die (Un-)durchlässigkeit dieser Domänen entscheidet. Dies geschieht nicht auf Grundlage inhaltlich-logischer Prinzipien, sondern infolge einer rein zeitlichen Taktung! Ein Beispiel: Ich befinde mich im Getümmel der Fußgängerzone einer Großstadt. Zahllose Einzelereignisse passieren unentwegt um mich herum und ich erkenne lauter kleine, zusammenhangslose (oder doch zusammenhängende?) Situationen. Eine Frau und ein Kind verlassen nebeneinander ein Kaufhaus - ich unterstelle spontan und vorbewusst eine Mutter-Tochter-Beziehung zwischen den Personen. Vor einem Geschäft stehen zwei Teenager dicht beieinander - ich vermute es handelt sich um ein Liebenspärchen, dass gleich zum Kuss ansetzen wird. Diese spontanen Interpretationen können natürlich falsch sein. Hätte ich das kleine Mädchen und die Frau etwas länger beobachtet, hätte ich sehen können, dass sich ihre Wege trennen und sie nur zufällig ein paar Schritte nebeneinander hergelaufen sind. Ebenso gut kann der Teenager die Teenagerin nur nach dem Weg gefragt haben. Vielleicht waren sie auch gar nicht so jungendlich für wie ich sie unbewusst infolge der Frisuren, der Kleidung o.ä. erachtet habe?! Hätte sich meine bewusste Aufmerksamkeit auf die Personen gerichtet, hätte ich nach weiteren Beobachtungen mglw. einen völlig anderen "Eindruck" gewonnen. Es hätte aber fernab jeglicher Aufmerksamkeit und Bewertung bereits gereicht, die Personen nur eine Sekunde früher oder später wahrgenommen zu haben, um einen anderweitigen bewussten Eindruck über dieselben zu erlangen!

 

Die Personen befanden sich im Bereich der Hintergrundwahrnehmungen und diese wiederum definiere nicht ich - der Beobachter, das tut mein Gehirn indem es Inhalte und Strukturen der äußeren und inneren Gesamtsituation festlegt (also entsprechende Zeitfenster öffnet und schließt). Das Öffnen und Schließen der situations-generierenden Zeitfenster reguliert bzw. definiert natürlich nicht  allein den Grad an Bewusstheit von Wahrnehmungsinhalten. Dieser Prozess "entscheidet" auch darüber, ob mich zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas Bestimmtes überhaupt "zufällig" interessiert oder eben nicht! Kommen wir noch mal auf die Arbeiter zurück die gerade einen Baum fällen, während ich in meinen inneren Dialogen verstrickt bin. Hätte ich einen Sekundenbruchteil vorher gesehen, dass ein Baum gefällt wird, hätte dieses Ereignis dazu geführt, dass ich nicht an meine Urlaubsplanung gedacht hätte, sondern mich ("zufällig") für diese Situation interessiert hätte ("wie lange brauchen die wohl um den Baum umzusägen?")! Das hat nichts damit zu tun, dass die Fällung des Baumes einen Sekundenbruchteil früher für mich persönlich real eine andere Bedeutung gehabt hätte, sondern damit, dass in diesem Augenblick das Hirn sich in einem Perspektiven-Übergang befunden und die innere und äußere Gesamtsituation neu ausgeformt hat.

Wie kann man sich diesen Prozess überhaupt vorstellen?! Die einfachste mögliche Aussage hierzu wäre: Das Hirn verschiebt zyklisch abwechselnd die IGS und die Repräsentation der ÄGS in den Hintergrund!

Der "Hintergrund" ist ein Sammelarchiv im Echtzeitspeicher (Arbeitsgedächtnis) in denen die objektbezüglichen Eigenschaften der Inhalte vergleichsweise "irrelevant", der funktionale Modus der beteiligten Wahrnehmungssysteme hingegen von primärer Bedeutung ist.

Der "Vordergrund" ist der dynamisch-aktive Arbeitsraum, in denen i.d.R. wenige Inhalte infolge ihrer verschiedenen Eigenschaften differenziert wahrgenommen und miteinander in Bezug gesetzt werden.

Und wie wiederum könnte dies möglich sein? Das Gehirn entscheidet sich im Strom der Zeit für verschiedene "Attraktoren" für die Selbst-Identifikation des phänomenalen Selbst", also für Prozesse und/oder Inhalte, welche durch das phänomenale Selbst okkupiert, mit ihm gleichgesetzt werden. Ein Attraktor kann immer nur in einem Bereich liegen, also innerhalb der Repräsentation der ÄGS oder innerhalb der IGS. Der Begriff des phänomenalen Selbst bezeichnet die akute Selbst-Identifikation mit Inhalten aus dem Wahrnehmungs- oder Erlebensprozess. Jemand könnte z.B. in die Wahrnehmung des Sonnenuntergangs "geistig versinken" oder aber in eine sehr persönliche, egozentrische Aktivität.

In folgender Abbildung sehen wir einen Überlagerungszustand zwischen der ersten Grundperspektive (Existenzempfindung) und der zweiten Grundperspektive (Situationsempfindung). Erstgenannte Perspektive erzeugt den "Gesamtrahmen des Erlebens", die zweite erzeugt Inhalte der äußeren und inneren Situation.

 

 

Abb.37: Die dem Situationsempfinden entsprechende Grund-Perspektive "befüllt" den Gesamtrahmen des Erlebens (generiert durch "Existenz-Perspektive") mit konkreten Inhalten (Objekte, Personen, etc.).

 

DRITTE GRUND-PERSPEKTIVE: DAS ERKENNEN EINES EREIGNISSES ODER EINER AUFGABE

Dem empfundenen Wissen um die eigene Existenz und dem Erkennen einer äußeren Gesamtsituation, die im Rahmen einer inneren Gesamtsituation erlebt und dort repräsentiert wird, fügt sich mit der Aktivierung dieser dritten Grund-Perspektive die Information um die Präsenz einer Aufgabenstellung oder die bewusste Wahrnehmung von Veränderung hinzu.

Oftmals werden wir durch äußere Umstände oder andere Personen in konkrete Aufgaben- und Entscheidungssituationen gebracht. Wenn sich ein Auto mit hoher Geschwindigkeit dem Zebrastreifen nähert, den ich gerade überqueren will, muss ich meine Schrittfolge beschleunigen. Delegiert mein dienstlicher Vorgesetzter eine Aufgabe an mich weiter, muss ich zusehen, wie ich eine Lösung herbeiführe.

Auch aus spontanem, inneren Antrieb ergeben sich "Aufgaben". Mitunter kann ein spontaner, unbewusster Impuls mein Interesse an irgendein Thema binden woraufhin ich mich damit kognitiv auseinandersetze.

Sehr häufig aber haben wir auch gar keinen äußeren oder inneren Anstoß für eine bestimmte Aufgabe oder Entscheidung. Dennoch haben wir unablässig eine Empfindung dafür, was wir tun sollen- selbst wenn diese Empfindung uns zur Passivität anhalten sollte!

Die "Bedeutung" der uns umgebenden Wirklichkeit und konkreter Inhalte derselben hängt im makroskopischen Maßstab  stark mit unserer Intentionalität oder unseren konkreten Motiven und Absichten zusammen! Wie komplex oder intensiv ich etwas wahrnehme, in welche Bezugssysteme und Kontexte ich die Sache gedanklich einordne usw. - alles steht mit meiner (ggf. unbewussten) Intention oder meinen bewussten, willentlichen Wertigkeitskategorien in Verbindung. Dass wir prinzipiell nicht über längere Zeiträume in einen völlig interessens- und motivationslosen Zustand geraten können, hängt mit der Tatsache unserer körperlichen Bedürfnisse zusammen! Ggf. definiert das Hirn auf unbewusster Ebene irgendwelche "Minimalkriterien" in Bezug auf Überlebensvorteile oder Lustgewinn und somit "Interesse" gegenüber wahrgenommener Inhalte.

Aber was ist die geringste Ursache, was sind die kleinsten Schritte, in denen sich die Empfindung von "Interesse" oder das Bewusstsein einer Entscheidungs- bzw. Handlungsaufforderung ausformt?

 

 

Ein Gedanken-Experiment:

 

 Ich stehe in einem Raum von der Größe eines gewöhnlichen Zimmers. Ich weiß, dass diesem Raum viele andere, in Bezug auf Größe und Struktur grundsätzlich identische Räume folgen, die jeweils durch einen schmalen Durchgang (symbolisch: "Flaschenhals")  miteinander verbunden sind. In diesen Räumen befinden sich verschiedene Werkzeuge die im jeweils nachfolgendem Raum zur Lösung einer dortigen Aufgabe benutzt werden müssen. Es wechseln sich also immer ein Raum mit Werkzeugen und ein Raum mit einer zu lösenden Aufgabe ab. Erst nachdem ich eine Wahl getroffen habe, welche Werkzeuge ich mitnehme, darf ich den nächsten Raum betreten und ebenso muss erst die dort bestehende Aufgabe gelöst (oder deren Unlösbarkeit akzeptiert) werden, ehe im übernächsten Raum neuerlich Werkzeuge auswählen kann, usw. Entscheidend ist, dass man immer nur in einem Raum Handlungen ausführen kann und sich nicht zurückbewegen darf! Es gibt also keine neuen Versuche in vergangenen Situationen, sondern immer nur fortwährend neue Situationen!

Nehmen wir an, vor mir lägen eine Schere, ein Hammer, ein Nagel und eine Zange. Wenn ich nun wüsste, dass im nächsten Raum ein Bild an der Wand befestigt oder aber ein Papierschiff gebastelt werden soll, dann wäre die Wahl einfach! Für den Fall, dass ich überhaupt keine Ahnung habe was kommt, wäre es besser, möglichst viele Werkzeuge mitzunehmen. Habe ich hingegen eine überaus konkrete Vermutung was mich erwartet, wäre es besser, nur ein einzelnes aber passendes Werkzeug mitzuführen.  

 

Weiteres Gedankenexperiment:

 

Stellen wir uns vor wir befänden uns in einem beruflichen Einstellungstest bei dem unsere Wahrnehmungsfähigkeit getestet werden soll. Wir sitzen vor einem Bildschirm auf dem fünf Minuten lang geometrische Figuren erscheinen und über irgendeinen Rand des Bildschirms hinaus wieder verschwinden. Die erste Aufgabe lautet, die grünen Dreiecke zu zählen. Das ist recht einfach und ich kann die roten Kreise, gelben Quadrate und blauen Ellipsen, die ebenfalls erscheinen, umgehend ignorieren. Bestünde die Aufgabe darin, sämtliche Formen nach Art und Anzahl zu benennen, sähe es anders aus. Die gleiche äußere Situation wird infolge einer komplexeren Aufgabenstellung viel anspruchsvoller und ich kann keine der einzelnen Wahrnehmungsinhalte einfach so ignorieren. Eine Steigerung bestünde in der Aufforderung, Regeln zu erkennen, in deren Abhängigkeit bestimmte Objekte auftauchen. Vielleicht taucht ein grünes Dreieck immer dann auf, wenn ein gelbes Quadrat im oberen Rand des Bildschirms verschwindet, vielleicht wechseln sich die Formen auch einfach nur reihum ab, vielleicht ist die Regel viel komplizierter und ich muss über einen längeren Zeitraum eine ganze Serie an einzelnen Ereignissen beobachten, im Gedächtnis behalten und analysieren. Ich könnte sogar die Ebene der Betrachtung wechseln und hinterfragen, ob es in Wirklichkeit gar keine Regel gibt und der Prüfer lediglich herausfinden will, wie lange ich mich verarschen lasse?!

 

Während wir so durchs Leben gehen "sagt" uns unser Gehirn unentwegt (oder gibt uns ein "Gefühl" dafür), wie "wichtig" oder "unwichtig" manche Dinge sind, die wir wahrnehmen und wir greifen mit unseren kognitiven Apparaten ständig nach irgendwelchen Werkzeugen, lassen sie mal spontan, mal nach kürzerem oder längerem Nachdenken wieder fallen!

Dabei spielt es zum Einen eine Rolle, ob wir gerade über ein bewusstes und langfristiges Handlungskonzept verfügen (das Abitur in 2 Jahren bestehen zu wollen, ist ein dauerhaftes Meta-Konzept, das auch die Wertigkeit verschiedener Dinge justiert), oder aber nur eine sehr flüchtige und unbewusste Intention haben.

Aber woher "wissen" wir, was wir tun sollen, was uns erwartet und warum manche Dinge weniger wichtig und andere hingegen weitaus wichtiger (zumindest jedenfalls interessanter) sind oder sein könnten??! Rein theoretisch könnte ich einen ganzen Tag, eine ganze Woche oder einen ganzen Monat darüber nachgrübeln, ob ich z.B. eine alte Zeitung wegwerfen oder sie über weitere Jahre hinweg aufbewahren soll!

Wenn ich mich als bewusster Beobachter mit irgendwelchen Dingen auseinandersetze, sie analysiere und Entscheidungen treffe, kann ich mich im Prinzip in jede X-beliebige Richtung fortbewegen, an verschiedenen Entscheidungspunkten beliebig lange verweilen, mal weiter und mal weniger weit vorausplanen und wahlweise eine höhere oder geringere Anzahl an Fakten in die jeweiligen Denkvorgänge einbeziehen (wie im Gedankenexperiment mit dem Einstellungstest, bei dem dieselbe äußere Situation nach unterschiedlichen Kriterien behandelt werden kann).

Die untere Abbildung soll die  "Entscheidungsfreiheit" darstellen: Ich kann mich auf bewusster Ebene von irgendeinem (mentalen) Standpunkt aus in irgendwelche Richtungen fortbewegen und mich - je nach belieben - auch wieder zum Ausgangspunk zurückbewegen.

 

 

Abb.38: Ich kann mich als Beobachter (kognitiv und natürlich auch in Form einer realen räumlichen Fortbewegung) in jegliche Richtungen bewegen und auch wieder zum Ausgangspunkt zurückkehren.

Das Gesamtsystem jenseits des Bewusstseins und des Beobachters jedoch liefert in regelmäßigen zeitlichen Intervallen den Impuls bzw. die Information, sich in in einer "Entscheidungssituation" zu befinden. Das System kennt in diesem Bezug nur zwei Zustände: Es kann "sich" als eine singuläre Einheit wahrnehmen, oder aber als eine Einheit in einer Entscheidungssituation. Ich erinnere nochmals an die aneinander gereihten Räume in denen sich abwechselnd Werkzeuge und zu lösende Aufgaben befinden. Das Gesamtsystem durchschreitet also in einer nach internen Gesetzen definierten zeitlichen Taktfolge diese Räume. Es gibt nur eine Bewegungsrichtung und keine Rückkehr zu einem Ausgangspunkt!

 

Abb.39: Das Gesamtsystem wechselt seine Zustände ständig zwischen den Polen "Einheit in Ruhe" oder "Einheit in einer Entscheidungssituation".

 

Wie kann aber innerhalb der Perspektive des Beobachters etwas völlig anderes geschehen als innerhalb der tieferen Strukturen des Gesamtsystems? Meine realen Entscheidungsprozesse sind kompliziert, dauern verschieden lange, beziehen unterschiedlich viele Einzelinformationen und abzuwägende Kontexte mit ein! Ich kann ja einen Entscheidungsprozess nicht beenden, weil meine tiefen Systemfunktionen gerade auf "Keine Entscheidungs- Situation" umschalten!

Der gleiche Mechanismus, der im Sinne der hier ausgeführten Postulate den zyklischen Wechsel zwischen vorder- bzw. hintergründiger Wahrnehmung und Funktion von jeweils der inneren Gesamtsituation und der Repräsentation der äußeren Gesamtsituation vollzieht, bedingt in erweiterter Funktion auch die dritte Grundperspektive und führt zu der Wahrnehmung einer "Aufgabe" oder eines Ereignisses (im Gegensatz zu einer "statischen" Situation).

Die beiden Räume dürfen nämlich nicht "unendlich" befüllt werden. Insbesondere muss verhindert werden, dass sich innerhalb beider Bereiche (der IGS und der Repräsentation der ÄGS) "stabile Dominanzen" oder "gleichwertige Attraktoren" für die Identifikation des phänomenalen Selbst ausbilden.

 

Denken wir an einen Zylinder, in dem sich mehrere, verschieden grobe bzw. feine Gittersiebe in verschiedenen Höhen befinden. Der Zylinder ist mit einer Masse aus Kieselsteinen und gröberem Geröll befüllt. Die angesprochenen Siebe seien dynamisch in Bewegung, rütteln unentwegt hin und her.

In unserem Bewusstsein befinden sich zu einem beliebigen Zeitpunkt verschieden "große" und verschieden "komplexe" Inhalte. Das Rütteln der Siebe im Zylinder (analog zum o.g. Mechanismus der Perspektivengenerierung) lässt nur "kleine" Inhalte "durchs Raster fallen", also "völlig verschwinden", das "grobe Geröll" verbleibt im Hohlkörper. Durch das Gerüttel können Inhalte sogar überhaupt erst miteinander in Berührung kommen, in Verbindung treten.

 

DER WECHSEL AN GRUND-PERSPEKTIVEN FÜHRT OFTMALS ZU EINER (NEUEN) SKALIERUNG UND EINTEILUNG DER WAHRNEHMUNGSFELDER, MITNICHTEN ZWINGEND ZUM WECHSEL DEREN INHALTE!

 

  

Folgende Abbildung stellt die funktionale Überlagerung der ersten drei von den erwähnten vier Grund-Perspektiven dar. Die dritte Perspektive (Entscheidungsempfinden) lässt uns innerhalb des Gesamtwahrnehmungsfeldes (Existenzempfinden) und konkreter Inhalte (Situationsempfinden) eine eigene mentale Position und eine "Aufgabe" im weitesten Sinn erkennen.

 

 

Abb.40: Die dritte System-Grundperspektive lässt uns innerhalb einer wahrgenommenen Situation eine Entscheidungsaufforderung erkennen.

 

 

 

VIERTE GRUND-PERSPEKTIVE: DIE INTEGRATION EINER VORAUSGEGANGENEN ERLEBENS-SEQUENZ

Diese Grund-Perspektive des Gesamtsystems (nicht explizit des Beobachters) schließt eine Erlebens-Sequenz ab. Anschließend wird die erste Grund-Perspektive, nämlich jene des Existenz-Empfindens, wieder aktiviert. Natürlich hat mein Gehirn zwischenzeitlich nicht "vergessen" das es existiert. Das Existenzgefühl wird aber "upgedatet"! Neue körperliche Zustandsberichte ersetzen die vorherigen.

Bleiben wir aber erstmal bei dieser vierten Grundperspektive. Wie kann eine Erlebens-Sequenz "abgeschlossen" werden? Die einfachste Aussage wäre: Das Gehirn bestimmt, dass die betreffende Gesamtsituation jetzt Vergangenheit ist! Hierzu müssen aus einer zunächst koexistent bestehenden inneren und äußeren Gesamtsituation eine generelle (vollendete) Gesamtsituation gebildet werden, damit im nachfolgenden Aktivierungszyklus der anderen Grund-Perspektiven eine neue Ausdifferenzierung zwischen innerer und äußerer Gesamtsituation erfolgen kann.

Oder salopp gesagt: Die Zukunft kann erst auf der Ebene einer (vollendeten) Vergangenheit beginnen.

Es gibt noch eine andere Art von Vergangenheit, die "determinierte" ("vorherbestimmte" oder zumindest als solche empfundene) Zukunft. Darauf soll an anderer Stelle noch näher eingegangen werden.

Die Funktion der 4.Grundperspektive des Erlebens ist zwingend nötig, um das Arbeitsgedächtnis oder das Bewusstsein schlechthin vor "Überfüllung" zu schützen.

Untere Abbildung veranschaulicht die Überlagerung sämtlicher 4 Grund-Perspektiven, über die das Gesamtsystem im Rahmen der hier geäußerten Hypothesen verfügen könnte:

 

 

Abb.41: Die vierte Grundperspektive ("Abschluss einer Erlebenssequenz") in blauer Farbe singularisiert sämtliche Inhalte und ermöglicht deren Integration innerhalb nachfolgender Erlebenssequenzen.

 

 

 

 DIE AKTIVITÄT DER UNIVERSALEN GRUND-PERSPEKTIVEN DES SYSTEMS NOCH EINMAL IM SCHNELLDURCHLAUF :

 

 

Die erste Grundperspektive beinhaltet das Existenzempfinden und generiert den äußeren Gesamtrahmen des Erlebens.

Der "Rahmen" steht für eine "banale" Trennung des fiktiven "ICH" vom "Rest der Welt".

 

 Abb.42: Existenzempfindung

 

 Die zweite Perspektive beinhaltet das Situationsempfinden und erzeugt konkrete Inhalte. In ihr werden Objekte und als zusammenhängend (gegenüber anderen Inhalten abgegrenzte) wahrgenommene Dinge dargestellt.

 

Abb.43: Situationserleben

 

 Die dritte Perspektive induziert die Empfindung einer Aufgabenstellung  bzw. einer Entscheidungssituation und reguliert die "Intentionalität" des Beobachters. Für diese angenommene Grundperspektive gibt es sowohl einen "passiven Modus" ("ich erlebe ein Ereignis" oder "ich befinde mich innerhalb einer sich verändernden Situation") als auch einen "aktiven Modus" ("ich bin in einer Entscheidungssituation"; "ich habe eine Aufgabe innerhalb der erlebten Situation").

 

 

Abb.44: Entscheidungsprozess

 

 Die vierte Perspektive (symbolisiert durch den äußeren, gelb markierten Rand) beendet eine Erlebenssequenz, indem sie alle bisherigen Inhalte in einer Gesamtsituation vereint. Aus einer gegenwärtigen ("aktiven", "veränderlichen") wird nun eine vergangene oder zumindest determinierte ("statische", "unveränderliche") Situation ("Vergangenheit" und "determinierte Zukunft" sind gewissermaßen dasselbe, wie noch gezeigt werden soll). Aus dem fiktiven "Hier und Jetzt" wird ein "Vorher und Nachher".

 

 

Abb.45: Integration, "Abschluss" einer "Erlebenssequenz"

  

 

Man möchte vielleicht einwenden, der hier angenommene Wechsel an verschiedenartigen Grundperspektiven - so er mit der Wirklichkeit übereinstimmen sollte - würde eine zu starke Determinierung unseres Erlebens bedeuten! Wie könnte sich mein Geist so scheinbar "frei" allen möglichen Inhalten zuwenden, wenn die inneren Erlebensprozesse von sehr kurzen, impulsartigen Zyklen vorangetrieben und durch deren Abfolge auch determiniert werden?!

Der ultimative Kritikpunkt ist aber jener: "Existenz", "Situation", "Ereignis" und "Integration" sind im Grunde ja "nur" universelle Zustandsformen aller existierenden Dinge! Alles Vorhandene existiert, es befindet sich in einer relativen raumzeitlichen Anordnung in Bezug zu anderen Dingen (Situation), es verändert sich oder interagiert mit anderen Dingen (Ereignis) und gelangt in einen neuen Zustand oder eine neue Situation (Integration). Man könnte darauf aufbauend sogar einwenden, ich hätte zwei der universellen Zustandsformen ausgelassen: nämlich Entstehung und Vernichtung. Diese beiden Aspekte sind insofern zu vernachlässigen, als das Entstehen oder Vergehen von Dingen nur eine Unterform von "Integration" darstellt! Ob ein Mensch geboren wird, ein Auto vom Fließband oder eine Gerölllawine vom Berghang rollt: das "neue" Objekt wird in eine bereits bestehende Umgebung "integriert". Auch eine angenommene vollständige Vernichtung könnte als Integration des betreffenden Objekts in eine neuartige Situation gedeutet werden, nämlich in  dieselbe Situation ohne das entsprechende Objekt.

Habe ich mit meinem Modell nur eine gemeinsame "Schnittmenge" an trivialen Eigenschaften explizit geistiger Vorgängen und Phänomenen auf der einen, sowie Objekten und Prozessen in der realen Welt auf der anderen Seite definiert?!

Nicht ganz! Die o.g. Grundperspektiven geben nicht vor, welche speziellen und konkreten Inhalte im Bereich meiner Wahrnehmung, meines Bewusstseins auftauchen dürfen und wie sie sich verhalten müssen! Sie definieren vielmehr den "äußersten" Gesamtrahmen des Kontextes zwischen wahrnehmendem/denkenden Subjekt und seiner realen und abstrakten Umgebung! Dem liegt vermutlich ein bio- bzw. neurologisch prä- organisiertes Symmetriestreben zugrunde!

Generierung, Wechsel und Veränderung von Wahrnehmungsräumen, deren Inhalten und der Intentionalität des Selbst müssen vom Gehirn unablässig parallel zueinander abgewickelt werden! Durch Skalierung und Taktung symmetrisiert das Gehirn verschiedenartige Inhalte auf Grundlage weitläufigster Ordnungskriterien.

Würde aber ein Mechanismus der hier beschriebenen Art nicht ein zu hohes Maß an Determination und einen zu geringen Spielraum für Kreativität, Selbstbestimmung, etc. erzeugen?

 

In der Tat werden wir allerdings unentwegt sehr stark determiniert. Viele denkbaren Folge-Wahrnehmungen und Folge-Assoziationen einer gewissen, perspektivisch determinierten Erlebens-Situation können nicht eintreten. Allerdings führen jene Pfade, die sich "zufällig" verwirklichen, nicht in Sackgassen, sondern in anderweitige innere Erlebens-Situationen, die ihrerseits einen "Streukreis" an theoretisch denkbaren Folgezuständen und -inhalten aufweisen. Untere Abbildung zeigt 3 verschiedene Pfade, die sich von einem gemeinsamen Zentrum ausgehend verzweigen (rot, blau und grün). Die kleinen Hügelchen an denen die Pfade vorbeiführen, können nur gesehen werden, wenn man den jeweiligen Pfad abschreitet. Die großen gelben Berge hingegen können von jeder räumlichen Position der dargestellten Landschaft aus gesehen werden. 

 

 

Abb.46: Möglichkeitspfade

- Es ist "Zufall", dass ich manche Dinge überhaupt bzw. in einer bestimmten (nämlich der realisierten) Form wahrnehme.

- Die Wahrnehmung universeller Wirklichkeitsinhalte, die Bildung zentraler Ordnungs- und Wertigkeitskategorien sowie das Erkennen einiger grundsätzlicher philosophischer Probleme hingegen ist Gewissheit, weil praktisch "alle Wege dorthin führen" (müssen)! 

 

KAPITELÜBERSICHT

 

 

 

Kapitel III

 

"MORALISCHE PERSPEKTIVEN"

 

Die Abfolge der o.g. "Grundperspektiven des Systems" (nicht explizit des Subjekts) gewährleisten also "Sinngehalt" und Dynamik jeglichen Selbst- und Wirklichkeitserlebens! Diesem Modell möchte ich fortfolgend die Hypothese der "moralischen Perspektiven" hinzufügen:

 

DER ERWEITERTE MORAL-BEGRIFF

Ich erinnere an die zu Beginn erfolgte Gegenüberstellung zwischen einem "klassischen" und einem "erweiterten" Informationsbegriff! Analog hierzu möchte ich nun zwischen einem "klassischen" und einem "erweiterten" Begriff der Moral differenzieren:

Im klassischen Sinn hat Moral etwas mit Gewissen, Aufrichtigkeit, sozialverträglichem Verhalten, Verantwortungsgefühl, also summarisch mit der Ethik zu tun! Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff allenfalls auf das Gebiet der Motivation/Stimmung ausgedehnt, etwa im Sinne von: "die Moral der Truppe" sei gut oder schlecht. Ich denke aber, es gibt einen weitaus größeren Kontext!

Betrachten wir vorab den Begriff des sog. "Selbstwertgefühls" (nachfolgend als SWG bezeichnet). In jedem Augenblick meines (Er)-lebens, habe ich eine empfundene Vorstellung über den "eigenen Wert". Zumeist handelt es sich um ein eher beiläufiges, die allgemeinen (Körperzustands-)empfindungen ergänzendes Substrat, dessen ich mir nicht bewusst bin, so wie ich analog hierzu auch einen normalen Blutdruck, eine gesunde Verdauung oder eine normale Atmung nicht bewusst registriere. In manchen Fällen kann das SWG aber sehr penetrant und vordergründig erlebt werden! Wenn ich z.B. beleidigt werde oder einen schweren Fehler begehe (und mich dafür schäme oder in beschämender Weise dafür kritisiert werde), spüre ich mein SWG so deutlich wie eine Magenverstimmung, einen extrem hohen Blutdruck, einen unregelmäßigen Herzschlag, eine akute Reizdarmsymptomatik oder akute Atemnot.

Das SWG kann als eine ganzheitliche, geschlossene Einheit erlebt werden! Es gibt aber Situationen, in denen es sich aufdröselt und selektiv aus nur einem oder zwei von insgesamt drei denkbaren Gesamtfaktoren zu bestehen scheint, die ich nachfolgend als "moralische Komponenten" des SWG bezeichne.

Was sind diese Komponenten?

Es sind:

AKZEPTANZ:

Akzeptanz bezeichnet den Grad, in dem sich ein Subjekt selbst anerkennt und respektiert  ("inneres Bezugssystem") bzw. von seiner sozialen Umwelt anerkannt und respektiert wird („externes Bezugssystem“).

Auf einer Skala für die Akzeptanz lägen Geringschätzung, Verachtung, Hass, etc. auf der Seite mit negativem Vorzeichen ("links der Null" - wenn wir an einen Zahlenstrahl aus dem Mathematikunterricht denken). Sie führt über einen neutralen Punkt (die Null) in positive Skalenwerte, beginnend mit "gewöhnlichem Respekt", ansteigend bis hin zu den positiven "Extremwerten", nämlich "Liebe" und "Bewunderung".

 

Abb. 47: "Sinnbild für Akzeptanz"

"Ich fühle mich respektiert, anerkannt, geliebt"

 

 

LEGITIMITÄT:

Legitimität bezeichnet den Grad, in dem sich ein Subjekt grundsätzlich und allgemein oder kontext- bzw. situationsabhängig als zu existieren und zu handeln berechtigt fühlt. Es impliziert auch Faktoren wie gefühlte (oder tatsächlich vorhandene) persönliche "Macht", "Kontrolle" und "Einfluss" (über sich selbst und/oder die Umwelt). Die Motivation eines Menschen korrespondiert mit der Empfindung der eigenen "Legitimität". Auf bewusster Ebene bezeichnen wir die Entsprechung des Faktors Legitimität als "Selbstsicherheit" (Selbstzweifel hingegen sind das Ergebnis  „fehlender“ Legitimität)!

 

Abb.48: Sinnbild für "Legitimität"

"Ich kann das, mache das, schaffe das (wenn nötig, auch gegen den Willen und Widerstand anderer und/oder sogar zu deren Nachteil)!"

 

 

INTEGRITÄT:

Integrität bezeichnet die innere Neigung oder Bereitschaft, sich an gesellschaftliche (ethische und gesetzliche) Regeln und Normen zu halten! Das sog. "Gewissen" ist umso ausgeprägter, je stärker der Faktor Integrität in der (Selbst-)wahrnehmung des Subjekts verankert ist! 

 

 

 

Abb.49: Sinnbild für "Integrität"

"Mein Gewissen ist rein! Ich halte mich an Regeln, Normen und Gesetze. Ich tue nichts Böses (unabhängig von drohender Strafverfolgung)!"

 

 

Der Faktor "Legitimität" (also die gefühlte Berechtigung, zu existieren und zu handeln) ist derjenige, dessen Bedeutung im Sinne vorliegender Überlegungen am weitesten vom "klassischen" Moralbegriff abweicht! Es geht hier nämlich nicht um formale Berechtigung (etwa in dem Sinne, wie mich ein Führerschein zum Auto fahren berechtigt), sondern um Selbstermächtigung (ggf. auch jenseits einer formalen oder ethischen Grundlage).

 Jegliches menschliche Handeln vollzieht sich im Spannungsfeld zwischen einem (tendenziell passiven) Sicherheits- und einem (tendenziell aktiven oder "aggressiven") Machtstreben.

Menschen mit einem sehr starken Legitimitätsempfinden streben eher nach“ Macht“, ihr Selbstwertgefühl geht insgesamt vorrangig aus dem Grad ihrer (gefühlten oder realen) Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten hervor. Menschen mit eher niedrigem Legitimitätsempfinden streben demgegenüber eher nach „Sicherheit“. Ihr Handlungskonzept lautet Anpassung.

  

Der Legitimitäts-Faktor bildet eine latente "Kopplungsebene" zwischen Informationen, die rein "sachlicher" Natur sind, und solchen, die "moralische Qualität" aufweisen. Dies zu verdeutlichen erfordert eine kleine Erläuterung zum Begriff der ICH-Bezogenheit:

 

 

DIE 4 STUFEN DER ICH- BEZOGENHEIT (INTENTION)

 

Was ist eine "sachliche" und was eine "moralische" Information? Ganz salopp gesagt: Eine moralische Information hat irgendetwas mit meinen persönlichen Überlebensvorteilen oder meinem Lustgewinn zu tun (ist also für mich ein "Thema" - siehe ggf. Ausführungen in Kapitel I auf der aktuellen Seite). Eine sachliche Information bezieht sich auf die Umwelt, jedoch nicht auf mich persönlich.

 

Die STUFEN DER ICH-BEZOGENHEIT in aufsteigender Reihenfolge:

Es gibt 4 Stufen: "neutrale Wahrnehmung", Intention, Involation und Selbst-Identifikation!

Repräsentationen sind irgendwelche Wahrnehmungsinhalte, die mich im Grunde "nichts angehen". Selbst-identifizierte Informationen hingegen rechne ich sehr unmittelbar dem eigenen Ich zu (eigene Hand, eigenes Bein, eigener Körper, eigene Gedanken, eigene Gefühle,...). Intention und Involation liegen dazwischen und bezeichnen den empfundenen Grad, in dem mich eine Information (un)mittelbar persönlich betrifft oder zumindest nach eigener Sinndeutung zu betreffen scheint!

 

Hierzu ein anschauliches Gedankenspiel:

Irgendwelche Häuser (z.B. in München, Augsburg, egal wo) die ich im Rahmen eines Spazierganges oder einer Straßenbahnfahrt sehe, sind Repräsentationen. Sie sind Teil der "sachlichen", "objektiven" Welt.

Nun sehe ich ein Haus mit einem Vordach von exakt jener Bauweise, wie ich selber gerne eines an meinem eigenen Hauseingang anbringen will! Ich habe also dem beobachteten Haus gegenüber eine gewisse Intention. Es hat "abstrakt" etwas mit meinen Motiven oder Gefühlen zu tun.

Nun höre ich in den Nachrichten, ein Gebäude in der Bahnhofstraße 17 in meinem Heimatort würde gerade brennen und die Feuerwehr sei unterwegs dorthin. Das könnte mir theoretisch egal sein, würde ich nicht selbst in der Bahnhofstraße 15, also direkt daneben wohnen! Ein Brand im Nachbargebäude wird nicht völlig folgenlos für das eigene Haus bleiben! Ich bin in das Schicksal des Hauses Nur 15 "involviert".

 Nehmen wir nun an, mein eigenes Haus würde niederbrennen während ich mich gerade darin befinde. Ich bilde mit ihm gewissermaßen eine "Schicksalsgemeinschaft". Ich kann durch das brennende Treppenhaus nicht entkommen und einen Sprung aus dem Fenster nicht überleben. Für mein Fortexistieren müsste ich meinen augenblicklichen Aufenthaltsort ändern, was nicht (mehr) möglich ist. Ich bin IM Haus, in gewisser Hinsicht "Teil des Hauses". "Überlebt" das Haus, dann überlebe auch ich. Ich "identifiziere" mich mit dem Haus.

 

Der latente Vorgang der "Selbst-Identifikation" bezieht sich grundsätzlich "nur" auf den eigenen Körper. Manchmal sogar nicht einmal das vollumfänglich!

Es gibt Patienten, die unter dem Gefühl leiden, ihr völlig gesunder Arm oder ihr völlig gesundes Bein sei ein Fremdkörper und müsse amputiert werden (in krassen Fällen greifen sie sogar mit der Kreissäge zur "Selbsthilfe"!). Ferner gibt es ein relativ leicht durchführbares Experiment, das einen "normalen" Probanden einigermaßen zuverlässig dazu verleitet, eine vor ihm auf dem Tisch liegende Gummihand als ein eigenes Körperteil zu erachten und Berührungen der Gummihand als ein Art Kitzeln oder Kribbeln zu spüren (analog zu Phantomschmerzen, die jemand in seiner nicht mehr vorhandenen Gliedmaße empfinden kann)!

 

Analog zu den Stufen der Ich-Bezogenheit verhalten sich, wie bereits angesprochen, auch die Ebenen von Informationen. Hieran sei nochmals kurz erinnert:

Repräsentation: ist eine "sachliche" Information, die ich auf Ebene der "neutralen Wahrnehmung" erfasse.

Thema: ist eine "moralische Information", der gegenüber ich ein Mindestmaß an Intention aufweise.

Problem: ist eine unlogische (widersprüchliche, unvollständige oder mehrdeutige) oder eine eine unerfreuliche (dem Über-Lebensvorteil und/oder Lustgewinn abträgliche) Information, in die ich aus genau diesem Grund involviert bin.

 

Das Selbstwertgefühl (SWG) könnte man gewissermaßen als einen "Wie-Vektor" der "Ich`s" verstehen!

In allen Lebenslagen und -augenblicken befinde ich mich mit einer bestimmten (gesamt-seelischen) Verfassung aus irgendeinem Zweck oder irgendeiner Ursache an irgendeinem Ort, um dort irgend etwas (nicht) zu tun oder zu wollen!

Man könnte es auch so ausdrücken: in jedem Augenblick meines Lebens befinde ich mich in irgendeiner Situation, die man durch eine "Wie-Wo-Was-Koppelung" beschreiben könnte (wo bin ich, was will oder tue ich dort und wie fühle ich mich dabei). Diesbezüglich kann ich ferner zwischen selbst- und fremdbestimmten Situationen unterscheiden: ich sitze z.B. in Augsburg in meinem Büro, weil mein Arbeitgeber meine Diensttätigkeit erwartet ("fremdbestimmte" Situation). Oder ich wandere in Oberstdorf auf das Nebelhorn, weil ich gerade dort Urlaub mache und Lust darauf verspüre ("selbstbestimmte" Situation). Als "Neutrum" könnte man noch die "zufällige Situation" einbringen - aber das ist eine Frage der Perspektive! Jeder "zufälligen" Situation geht eine selbst- oder fremdbestimmte Situation voraus.

Sofern in der gegebenen Situation eine "Handlungsaufforderung (fremdbestimmte Situation), oder ein Handlungsbedürfnis bzw. ein Motiv (selbstbestimmte Situation) gegeben ist, hängt mein SWG fernerhin davon ab, wie klar (eindeutig, definiert) Handlungsaufforderung oder Handlungswille (Motiv) sind und ob ich mich dazu in der Lage fühle, die Handlung auszuführen oder das Bedürfnis zu befriedigen!

Die moralische Komponente LEGITIMITÄT (gefühlte Berechtigung, zu existieren und zu handeln) ist also, wie erwähnt, ein Durchgangstor über das "sachliche Informationen" in "moralische Informationen" umgewandelt werden. Ebenso korrespondiert diese moralische Komponente stärker und latenter mit dem Gesamtphänomen des SWG als die anderen beiden Faktoren (Akzeptanz und Integrität)!

 

 Das "System" (die neuronalen Gesamtvorgänge) ist latent darum bemüht, "sachliche Informationen" (also "belanglose" Repräsentationen) zu "ver - moralisieren" um überhaupt erst ein auf Motiven und Bedürfnissen basierendes Selbst zu generieren! Das "SELBST" wiederum versucht seinerseits umgekehrt, latent eine größtmögliche Menge an "moralischen Informationen" zu "ver - sachlichen", also in solche umzuwandeln, "die mich nichts (mehr) angehen", um die ich mich als Subjekt "nicht weiter kümmern" muss, die kein "Problem" (mehr) darstellen.

 

  

Abschließende Aussagen über das Selbstwertgefühl (SWG)

 

PERSÖNLICHE PRÄFERENZEN

Menschen unterscheiden sich zweifelsfrei bezüglich dessen, wie stark ihr individuelles SWG von den verschiedenen Komponenten stärker oder schwächer abhängt (unbeschadet der generell vordergründigen Bedeutung des Faktors Legitimität). Ein "Gewissensmensch" wird sich zwischenmenschlich eher sensibel und rücksichtsvoll verhalten, ein überwiegend vom Faktor "Legitimität" geprägter Mensch wird die Ellbogen ausfahren und auch mal den eigenen Vorteil auf Kosten anderer realisieren ("Faustrecht"), ein besonders stark an den Faktor "Akzeptanz" gekoppelter Mensch wird Harmonie begehren und emotional sehr vom Werturteil anderer abhängig sein....

 

 

POLARITÄT DER MORALISCHEN KOMPONENTEN DES SWG

Die Pole auf der Skala für die Faktoren "Akzeptanz" und "Integrität" stellt man sich sinnvoller Weise mit einem sowohl negativen als auch positiven Zahlenbereich vor (mit einer neutralen Null in der Mitte), anstatt mit einem nur positiven Bereich mit den Werten Null bis Hundert (Prozent)! Hass ist schließlich nicht die "Minimalausprägung" von Liebe, sondern ihr Gegenteil.

Abb.:50 Skala "Akzeptanz"

Ebenso sind Empathielosigkeit und Brutalität das Gegenteil von Integrität und nicht deren Minimal- oder nullwertige Ausprägung!

 

 

Abb. 51: Skala "Integrität"

 

 

Beim Faktor "Legitimität" ist eine Skala von Null (nicht vorhanden) bis Maximal (Größenwahn) hingegen plausibler, auch wenn man Resignation theoretisch als "Anti-Motivation" und somit als "Anti-Legitimitätsgefühl" deuten könnte! Allerdings ist der Faktor Legitimität auch das "Tor" für die Umwandlung von sachlichen in moralische Informationen (und umgekehrt). Ein "negativer" Skalenwert ist deshalb unstimmig.

 

Abb.52: Am Übergang zwischen "sachlichen" und "moralischen" Informationen (ergo zwischen "Repräsentationen" und "Themen") liegt eine Diffusionszone .......

 

Abb.53: ebenso wie zwischen "Themen" und "Problemen", also zwischen Informationen, in die ich "involviert" bin und Informationen, die unlogisch (widersprüchlich, unvollständig, mehrdeutig) oder unerfreulich (dem Lustprinzip widersprechend) sind.

 

Mitunter "spiegelt" sich der extrem niedrige oder hohe Skalenwert eines Faktors im gegenteiligen Skalenbereich eines anderweitigen Faktors wieder!

Die Möglichkeit einer solchen "Doppelpräsenz" zeigen uns folgende Überlegungen:

Ein "Heiliger" (dieser überspitzte Begriff soll hier einen Menschen skizzieren, dessen SWG sich fast ausschließlich aus dem Faktor "Integrität" herleitet) wird jeden respektieren und "lieben" (auch objektiv bösartige Mitmenschen). Er wird jeden Menschen pauschal in Schutz nehmen. Eine "heilige" Ehefrau wird behaupten, sie sei auf der Kellertreppe gestürzt, anstatt den Fausthieb des gewalttätigen Mannes wahrheitsgemäß als Ursache für ihre Gesichtsverletzung zu benennen! Die fatale Kurzformel hierzu: "Maximale Integrität = minimale Legitimität"! Wenn ich jedermanns Wohlwollen und Freundschaft erlangen will, mich stets dem Wohlergehen anderer Personen verpflichtet fühle und das Böse im Mitmenschen leugne, kann ich keine eigenen Ansprüche haben oder darf jedenfalls nicht zu ihnen stehen! 

Ein "maximal Legitimierter" (damit soll hier eine aggressive Person gemeint sein, die ggf. auch körperliche Gewalt ausübt und sich höchstens im Angesicht drohender Strafverfolgung oder gegenüber einem eindeutig überlegenen Gegner als scheinbar sozialverträglich oder freundlich verhält) wird schwerlich ein Gespür eigener Verantwortung im Sinne von Schuld(anerkennung) und Sühne entwickeln! Er wird das Faustrecht bevorzugen, wo immer er es mit Schwächeren zu tun hat! Also kurz: "maximale Legitimität = minimale Integrität"

Jemand, der unbedingt akzeptiert (also geliebt) werden will, wird sich orientierungslos an X-beliebigen ("moralischen") Instanzen ausrichten! Er versucht zu beeindrucken, leistet vorauseilenden Gehorsam, vollbringt in Erfüllung der Erwartungshaltung Anderer vielleicht sogar sinnlose oder bösartige Handlungen (z.B. "Mutproben", in "den heiligen Krieg ziehen"), um selber respektiert oder wenigstens wahrgenommen zu werden. Auch hierzu gibt es eine fatale Kurzformel: Maximale Akzeptanz (soll hier heißen: maximales Bedürfnis nach Liebe) = verringerte Legitimität und verringerte Integrität!

 

 

SELEKTIVE ANSPRACHE DER MORALISCHEN KOMPONENTEN DES SWG DURCH DIE UMWELT

Wir unterscheiden uns zwischenmenschlich sowohl in dem Punkt, welche Faktoren jeweils stärker oder schwächer an der Ausprägung (und Schwankung) unseres SWG beteiligt sind, als auch darin, welche äußeren Situationen überhaupt (in welchem Maß) eine Resonanz innerhalb des SWG und seiner einzelnen Komponenten auslösen!

 

VORBEDINGTHEIT

Mitunter müssen "Bedingungen" auf einer bestimmten Ebene erfüllt sein, damit innerhalb einer anderen Ebene ein positiver Effekt eintreten kann. Folgende "kausale Trinität" an Vor-Bedingtheit dürfte vielen von uns seitens der eigenen Erziehung vertraut sein: wir mussten vermutlich "artig" bzw. "brav" (integer) sein, um der elterlichen Liebe (Akzeptanz) anteilig zu werden und uns dadurch im Kreis der engsten Bezugspersonen als legitimiert (lebens-, liebenswert und handlungsberechtigt) fühlen zu dürfen?!!

 

ÄQUIVALENZEN

Natürlich kann ein selektiv stark ausgeprägter Faktor das Vorhandensein anderweitiger Faktoren "ersetzen". Eine berühmte, erfolgreiche Person kann ihre "Legitimität" als Ersatz für die fehlende Akzeptanz durch andere empfinden und mitunter sogar Kritik, soziale Anfeindung und Neid als eine Art Bestätigung der eigenen Großartigkeit erachten.

 

  

 KONFLIKTE

Vorab: in nachfolgenden Absätzen ist ausschließlich von inneren Konflikten des Subjekts ("wie soll ich mich verhalten?") bzw. des Bewusstseins (welche Perspektive soll es generieren?) die Rede, nicht von Konflikten im Sinne von aktiven Kampfhandlungen oder gar Kriegen!

 

Also: Was ist ein Problem und was ist ein Konflikt? Ich denke, es gibt einen gravierenden Unterschied (der zugegebenermaßen ein wenig künstlich wirkt) - ich halte diese Differenzierung aber dennoch für sinnvoll.

"Gewöhnliche Informationen" haben einen analogen Charakter, sie begegnen uns als "Einheiten". Objekte, Situationen, Ereignisse,.... Alles was wir sozusagen "nacheinander" erleben ist für uns mehr oder weniger eine "Einheit". Wenn wir uns an die entsprechenden Wahrnehmungen mit den betreffenden Inhalten "zurückerinnern", können wir sie i.d.R. auf einer Zeitachse anordnen, so wie man in der Mathematik Zahlen ihrer Größe nach auf einem Zahlenstrahl anordnet. Aber der wesentliche Punkt ist: Eine "gewöhnliche" Informationen befindet sich i.d.R nicht im Widerspruch zu einer anderen "gewöhnlichen" Information.

 

Sowohl ein Problem als auch ein Konflikt haben immer etwas mit Widersprüchlichkeit, Mehrdeutigkeit und/oder Unvollständigkeit (alles Aspekte von "Unlogik") zu tun! Stark überspitzt ausgedrückt: Alles was wir "gleichzeitig" erleben, ist tendenziell ein Problem oder ein Konflikt (zumindest aber jedenfalls ein "Thema")! Bei einem Zoo-Besuch kann ich in einem Gehege zwar auch die Affen, den Kletterbaum, das Futter und einige andere Zoo-Besucher um den Bereich herum gleichzeitig wahrnehmen! Aber diese Einzelbeobachtungen sind Teil einer übergeordneten Situation, ob diese nun explizit "semantisch" deklariert ist oder nur gefühlt als ein eigenes Ordnungsprinzip aus einer Meta-Perspektive des Erlebens heraus interpretiert wird (hier eben als "Zoo-Besuch").

Mit "gleichzeitig" erleben meine ich nachfolgend aber Dinge, die um die Ressourcen jener Mechanismen konkurrieren, die unsere geistigen Perspektiven erzeugen! Es geht also um die Frage, inwiefern sich aus der Meta-Perspektive des Erlebens ein einheitliches Bild oder aber konkurrierende Inhalte ergeben.

Bei einem klassischen Problem muss ich verschiedene, ggf. widersprüchliche Vorstellungen und Bilder über mögliche Bedeutungen oder Entwicklungsverläufe einer Angelegenheit erstellen und gegeneinander abwägen.

Probleme haben üblicherweise mit tendenziell "sachlichen" Informationen (Themen) zu tun, die zwar unerfreulich oder unlogisch sind, sich grundsätzlich aber auf irgendwelche Dinge der Umwelt beziehen.

Ich erinnere nochmals an die o.g. "Stufen der Intentionalität" (Identifikation, Involation, Intention, "neutrale Wahrnehmung") und die "Ebenen von Informationen" (Repräsentation, Thema, Problem).

 

Ein Konflikt ist einem Problem grundsätzlich sehr ähnlich, nur dass die "problem"- bzw. "konfliktbehaftete" Information viel direkter mit mir als Subjekt und eher weniger mit der Umwelt zu tun hat!

Im Falle einer Konfliktsituation muss ich verschiedene künftige Modelle meiner eigenen Person und deren angenommener Zustände entwerfen, die sich in Abhängigkeit zu meinen Entscheidungen und Handlungsweisen innerhalb einer sich dynamisch verändernden Umwelt ergeben könn(t)en.

Betrachten wir z.B. wieder den o.g. Zoobesuch, der zunächst völlig problem- und konfliktfrei war. Nun kollabiert etwa 5 Meter neben dem Affengehege ein Besucher. Offensichtlich erleidet er gerade einen Herzinfarkt. Es sind neben mir noch etwa 7 oder 8 weitere Leute in der Nähe. Was soll ich tun? Ich könnte zum Eisbärengehege weitergehen und so tun, als hätte ich nichts gesehen! Schließlich bin ich nicht der Einzige, der helfen könnte. Wenn sich aber alle anderen genauso verhalten, stirbt der Mann! Kann ich das vor meinem Gewissen rechtfertigen?

Wie bereits erwähnt: Es gibt einen "systembedingten" Umwandlungsprozess von sachlichen in moralische Informationen. Dem gegenüber steht ein vom Selbst ausgehendes Bestreben, moralische in sachliche Informationen (zurück) zu verwandeln.

Am allerdeutlichsten geschieht dieser Umkehrprozess (Umwandlung von "moralischen" in "sachliche" Informationen) im Rahmen einer moralischen Konfliktbewältigung!

 

Die trivialste, wohl jedem von uns vertraute Form eines moralischen Konfliktes ist eine Gewissensfrage!

Es geht um eine "Rangfolgeentscheidung" zwischen konkurrierenden Wertesystemen: nämlich zwischen dem persönlichen Vorteil und dem Wohlergehen Anderer!

Man könnte auch sagen es geht um Legitimation ("Macht") in Gegenüberstellung zur Integrität (Korrektheit vor dem Gewissen und/oder etablierter ethischer Prinzipien).

Ebenso häufige "direkte" moralische Konflikte (im engeren Sinn) begegnen uns in Form von Entscheidungssituationen, in denen es gilt, zwischen (ziemlich) sicheren kurzfristigen und (möglichen, vielleicht auch unwahrscheinlichen) langfristigen Vorteilen abzuwägen! Ich könnte mir z.B. jetzt im MC Donalds 5 Big Mac reinstopfen oder bewusst darauf verzichten und hoffen, bis zum nächsten Juni die richtige Badehosen-Figur zu haben!

 

KRITIK: EIN MORALISCHER KONFLIKT IM DIREKTEN ZWISCHENMENSCHLICHEN KONTEXT

Ein moralischer Konflikt tritt dann auf, wenn ein Mensch oder ein Ereignis entweder mein Selbstwertgefühl (SWG) insgesamt oder eine der möglichen moralischen Komponenten meines Selbst(wert)empfindens (Legitimität, Akzeptanz oder Integrität) angreift.

In diesem Abschnitt betrachte ich ausschließlich Konflikte, die sich tatsächlich zwischen Menschen ereignen und auch von Menschen verursacht werden.

Ein zwischenmenschlicher Konflikt besteht zwingend aus drei Grundvariablen: Ein kritisiertes Subjekt, eine die Kritik ausübende (moralische) Instanz bzw. Kritiker und eine kritisierte Tat oder Eigenschaft!

Eine Kritik (ob von außen oder Selbstkritik) kann, wie gesagt, das SWG insgesamt oder dessen einzelne Faktoren angreifen.

Beispiele:

Jemand beleidigt mich: Dies betrifft die "Akzeptanz". Er sagt damit: "Ich liebe/respektiere Dich nicht!"

Jemand klaut mein Handy oder schlägt mich nieder: Natürlich handelt es sich hierbei um Diebstahl und Körperverletzung, aber eben auch um Kritik, die sich auf meine Legitimität bezieht! Die dahinter stehende Einstellung (des Täters) lautet: "Ich erkenne Deine Legitimität (Berechtigung) auf Eigentum und körperliche Unversehrtheit nicht an!"

Wer mich mit einem Schuldvorwurf konfrontiert, greift mich auf der Ebene der Integrität an! Die Aussage: "Du bist ein Lügner!" soll heißen: "Ich bezichtige Dich, ethischen Werten nicht zu genügen (und kein sozialverträgliches Mitglied der Gesellschaft zu sein)!"

Ein Kritiker kann am Rande bemerkt für sich selbst, für eine Dritte Person (ein Opfer) oder für ein (abstraktes) Wertesystem sprechen! Wenn ich jemanden zusammenscheiße, der mit dem Fahrrad auf dem Fußgängerweg rast, spreche ich für die Straßenverkehrsordnung und die Fußgänger!

 

SCHAM- DAS WAHRSCHEINLICH BEDEUTSAMSTE MORALISCHE (UND SOZIALE!) GEFÜHL

Wie merke ich überhaupt, dass ich von einem moralischen Konflikt betroffen bin?

Ich merke es in dem Augenblick, indem ich Scham empfinde.

Diesbezüglich gibt es drei Varianten:

 

OPFERSCHAM

Opferscham empfinde ich, wenn ich mit der eigenen Hilflosigkeit oder Inkompetenz konfrontiert werde! Beleidigt, geschlagen oder bloßgestellt zu werden, schulischen oder beruflichen Ansprüchen (trotz vorhandenem Leistungswillen und Bemühungen) nicht entsprechen zu können, erzeugt Opferscham (ich bin "Opfer" von Menschen, Umständen oder sogar der eigenen Defizite). Diese untergräbt das Vertrauen in die eigene Legitimität (der "Berechtigung", zu leben und zu handeln)

 

TÄTERSCHAM (SCHULD)

Täterscham oder Schuld empfinde ich, wenn ich mit einer ethischen Schuld konfrontiert werde! Jemanden (z.B im Straßenverkehr oder während eines Alkoholrausches) schwer verletzt oder getötet zu haben, erzeugt Täterscham. Diese untergräbt das Vertrauen in die eigene Integrität (als moralisches Wesen funktionstüchtig zu sein).

Ist die Umschreibung "Täter-Scham" (für Schuld) nicht eigentlich obsolet? Ein "authentischer" Täter, also ein Mensch, der aus echter Gewissenlosigkeit oder Verblendung handelt, dem im Wesentlichen Empathie- und Schuldgefühle, Charakter, Moral und Gewissen weitgehend fremd sind, wird sich für seine Tat wahrscheinlich nicht schämen. Es geht bei diesem Begriff aber nicht um die Frage, ob unethisches Verhalten in „logischer Konsequenz“ Schuldgefühle erzeugen muss (so wie ein Stoß mit dem Kopf gegen den Türrahmen eine Beule erzeugt), sondern darum, wie sich Schuldempfinden grundsätzlich vom Empfinden von Scham aus anderweitigen Gründen unterscheidet:

Vergleichen wir zur Untersuchung dieser Aussage in einem kleinen Gedankenexperiment zwei verschiedene Szenarien: Fall 1: Ich komme aus dem Supermarkt, steige in mein Auto, parke rückwärts aus und überfahre dabei ein 3 jähriges Kind. Ich steige aus, sehe mit Entsetzen den leblosen Körper unter meinem PKW und stehe einer nervlich kollabierenden Mutter (nebst einer Reihe entsetzt und vorwurfsvoll blickender Passanten) gegenüber. Ich bin gnadenlos mit meiner "Schuld" konfrontiert. Fall 2: Ich komme aus dem Supermarkt, eine Gruppe herumlungernder, angetrunkener Halbstarker pöbelt mich an, prügelt mich zu Boden, überschüttet mich mit dem Inhalt von Bierdosen und filmt alles per handy für ein „lustiges“ Youtube- Video. Es fällt nicht schwer, die Hilflosigkeit nachzuempfinden, die man als Opfer einer solchen Situation wohl unweigerlich empfinden müsste?! Wir sehen: beide Situationen wären für den Betroffenen in einer durchaus klar unterscheidbaren Weise extrem beschämend! Der "normale" Mensch (weniger der ausgesprochene Schwerverbrecher oder Gewalttäter) ist grundsätzlich für beide Varianten des Schamgefühls anfällig.

 

SEXUELLE SCHAM

Sie ist eine facettenreiche Sonderform, die sowohl mit Täter- als auch mit Opferscham korrespondieren kann.

 

 

 

BEOBACHTUNGEN AM PHÄNOMENALEN SELBST IM ZUGE DER KONFLIKTBEWÄLTIGUNG

Die Besonderheit im Erleben moralischer Konflikte besteht m.E. darin, dass wir hierbei unser "phänomenales Selbst", also unser im Alltagserleben "profilloses", "bildloses", rein qualitativ erlebbares Selbst deutlicher spüren, ohne dabei zwingend ein Selbstmodell, also eine vorgestellte Repräsentation des Ich`s zu erzeugen! In welcher Domäne das „phänomenale Selbst“ auch immer sonst im Allgemeinen „schwebt“ – in einer Konfliktsituation jedenfalls begibt es sich in den Bereich des viel besprochenen Selbstwertgefühls (SWG).

Was geschieht im Augenblick der Konfrontation mit einem moralischen Konflikt?

Zunächst einmal verändert sich in dem Augenblick, in dem wir persönlich oder ein von uns favorisiertes Wertesystem angegriffen (beschämt, verunglimpft) werden, unser Selbstwertgefühl! Vormals ist es dezent wie die Atemluft, die wir im für gewöhnlich nicht bewusst registrieren. Nun aber wird es irgendwie "substanziell".

Im nächsten Moment konkretisiert sich das Gefühl um die Ebene, in der wir "angegriffen" (kritisiert) wurden: Etwa im Bereich des Faktors "Legitimität" ("Das darfst Du nicht und kannst Du nicht, dazu bist Du nicht befähigt,…"), der "Akzeptanz" ("Du bist langweilig, lächerlich….“) oder der Integrität ("Du bist gemein, böse, ein Lügner, Du bist daran schuld!") Das vormals als dreieinige Gesamtheit fungierende Selbstwertgefühl scheint nun selektiv das Etikett einer dieser moralischen Grundkomponenten zu tragen!

Als Reaktion entwerfe ich jetzt vielleicht ein "bildliches Selbstmodell", um mich selbst von einer Außenperspektive heraus innerhalb der Konfliktsituation, die sich nun in meiner gedanklichen Vorstellung widerspiegelt, wahrnehmen zu können.

Ich kann fliehen oder angreifen (beschämt sein oder dem Kritiker argumentativ entgegentreten) oder im schlimmsten Fall „erstarren“ (wenn mich die Situation schlichtweg überfordert und ich zu keiner Reaktion in der Lage bin)!

Der Angreifer, also der "Kritiker", der mich beschämen oder einschränken will, bestimmt das Spielfeld (also eine der moralischen Ebenen), auf der das Spiel eröffnet wird. Ich habe als "Kritisierter" (als jemand, an den der moralische Konflikt herangetragen wird) nun die Möglichkeit, mich innerhalb derselben Ebene zu verteidigen, oder ich wechsle das Spielfeld!

Ein Beispiel: Ich gehe durch die Münchner Fußgängerzone, ein volltrunkener Obdachloser mit penetrantem Körpergeruch tritt an mich heran und sagt mit fester Stimme: "Ich liebe Dich nicht!" In dieser Situation wird es mir sehr leicht fallen, die Ebene der Akzeptanz ("Anerkennung" oder "Liebe") zu verlassen und mich in die Ebene der "Legitimität" zurückzuziehen, indem ich für mich persönlich feststelle: "das ist mir völlig gleichgültig, ob der mich liebt!" Ich bin befähigt ("legitimiert") seine Liebe zu entbehren (weil ich mich ihm infolge meiner ganzheitlichen Lebenssituation "überlegen" oder „privillegiert“ fühle), meinem Selbstwertgefühl wird dies nicht abträglich sein!

Würde meine eigene Mutter diese Aussage treffen, sähe es wahrscheinlich anders aus! Ich würde in der Ebene der Akzeptanz verweilen und versuchen, ein Argument zur Erwiderung oder Revision dieser für mich belastenden Aussage zu definieren!

Die Sachlage verhält sich ein wenig wie beim Tischtennis: das Spiel erfolgt auf der Platte, die Spieler agieren aber von außerhalb der Platte, sie bewegen sich um das Spielfeld herum! In manchen Fällen hingegen beugen sie sich vielleicht auch dicht über die Platte, legen sich beinahe auf sie, um mit dem Schläger ganz nah an das Netz in der Mitte ranzukommen!

 

Ich denke, es gibt hierbei einen sehr interessanten Aspekt: Wie erwähnt, weist jede Konfliktsituation drei Grundvariablen auf: einen Kritiker (oder Rügenden), einen Kritisierten (oder Gerügten) und eine die Kritik auslösende Tat oder Eigenschaft. Nur in diesem "Dreiecks- Spannungsfeld" kann ein Konflikt funktionieren! Fällt eine Variable weg (etwa die kritisierte Tat oder Eigenschaft- wenn sie der Kritisierte abstellt oder sich entschuldigt), löst sich der Konflikt auf!

Ist aber eine dieser Variablen unzulänglich ausgeprägt, "diffundieren" deren potentiellen Merkmale und Eigenschaften in den Bereich der anderen Variablen hinein!

Die schwierigsten Konflikte sind jene, in denen irgendeine dieser Variablen nicht klar definiert ist. Nicht zu wissen, was man falsch gemacht hat (oder haben soll), wer der oder die Kritiker oder was ihre Motive sind, warum sie überhaupt eine bestimmte Sache rügen (die objektiv vielleicht gar nicht zwingend kritikwürdig ist?), erzeugt ein sehr hohes Maß an Unsicherheit und eine Vielzahl diffuser, kaum zu bändigender innerer Bilder und Vorstellungen!

 

 

 

BEWÄLTIGUNG UND AUFLÖSUNG EINES KONFLIKTES

Um einen Konflikt zu bewältigen genügt es im Prinzip, eine der Variablen aufzulösen! Der Rest verhält sich dann wie fallende Dominosteine.

Eine Kritik entspricht einem "Argument" das sich wahlweise gegen meine Integrität (moralischer Vorwurf), Akzeptanz (Entzug von Anerkennung) oder Legitimität (Einschränkung meiner Rechte und Freiheiten) richten kann.

Meine Reaktion (Ignoranz, Flucht oder Angriff) stützt sich ebenfalls auf Argumente. Wie oben angesprochen, kann das "Gefecht" innerhalb der vom Angreifer gewählten, oder einer anderweitigen Ebene erfolgen. Ich versuche als Kritisierter ein Gegenargument innerhalb derselben Ebene oder ein "alternatives" aber äquivalentes Gegenargument aus einer anderen Ebene einzubringen. Bezeichnend für die Konfliktbewältigung ist ein intensiver und vielfacher Wechsel an inneren Perspektiven mit dem Ziel, entlastende oder relativierende Informationen/Bilder zu generieren.

Tatsache ist allerdings: wir alle erleben Konflikte, die eigentlich nicht wirklich gelöst werden können! Manchmal macht dies auch schlichtweg keinen Sinn! Wenn mich jemand mit einem absurden Vorwurf konfrontiert, ist es besser, ihn als Person mitsamt seiner Aussage "liegen" zu lassen, als sich zu verteidigen (was eher die Phantasie des Angreifers anregen, als seine Einstellung ändern würde)!

Wie aber beenden wir einen Konflikt, der auf rein moralischer Ebene "unlösbar" ist, weil er nicht entschärft oder nicht von den ihm anhaftenden Missverständnissen isoliert werden kann?

Ich denke, ein solcher Konflikt wird, sofern er nicht als Trauma oder Verbitterung dauerhaft das weitere Leben belastet, "versachlicht"!

 

"Konflikt- Dreisatz":

 

Betrachten wir, wie sich die schädigende, verletzende Wirkung eines schweren Konfliktes, also einer schweren, durch Kritik zugefügten seelischen Verletzung, i.d.R. über die Zeit hinweg reduziert.

 

Stufe 1. "Alles ist Konflikt"

Wenn ich mich wirklich sehr stark von einer Kritik betroffen fühle und beschämt bin, scheint es zunächst so, als wäre die ganze Welt, das ganze Universum darin involviert! Alle Wahrnehmungen und Eindrücke verblassen und versinken gemeinsam in ein frustriertes, enttäuschtes, verletztes, vielleicht auch wütendes "Einheitsding". Es scheint, als wisse und urteile alle Welt über die Angelegenheit.

 

Stufe 2. Es gibt parallele Ereignisse

Die o.g. inneren Perspektivenwechsel erzeugen entweder "Gegenargumente", die mich entlasten, oder der Prozess der Perspektivenwechsel verliert nach und nach an Energie und erzeugt dadurch eine erleichternde, relativierende Wirkung (auch wenn an der Konflikt-/Kritiksituation an sich "nichts zu machen" sein sollte). Irgendwann scheint es so, als wäre die Welt eben nicht einzig und allein darauf ausgerichtet, mich und meinen Konflikt zu bewerten und zu beurteilen. Ich stelle fest: es gibt anderweitige (wichtigere, größere) Ereignisse, um "die sich die Welt dreht".

 

Stufe 3. Der (mein) Konflikt ist ein "untergeordnetes Ereignis" im Weltgeschehen

Ob gelöst oder nicht: an diesem Punkt haben sich meine negativen Gefühle und Schlussfolgerungen relativiert. Ich neige zunehmend dazu, mir selbst (und ggf. dem Kritiker) zu vergeben oder den Konflikt insgesamt innerhalb eines größeren, unpersönlicheren Gesamtkontextes einzuordnen bzw. sogar zu ignorieren.

 

Die "Beendigung" eines Konfliktes entspricht einer "Ver-sachlichung" der ihn betreffenden Informationen!

 

Sollte er aber emotional und psychologisch tatsächlich auf unbestimmte Zeit nicht zu handeln sein, wächst er sich zu "Sonderformen" von "Informationen" aus!

Ich erinnere noch einmal an die "normalen" Arten von Informationen:

 

"NORMALE INFORMATIONEN"

 

A Repräsentationen:

  "sachliche", "unwichtige", "unrelevante" Informationen, die wir "neutral wahrnehmen"

B) Themen:

 Informationen, die eine emotionale oder motivierende Resonanz in uns erzeugen, denen gegenüber wir intentional sind.

C)  Probleme:

 Informationen, die entweder unerfreulich oder  unlogisch (unvollständig, widersprüchlich oder mehrdeutig) sind und in die wir involviert sind.

D) Konflikte:

Besondere Form von Problemen, die sich nicht oder weniger auf Inhalte der Außenwelt, sondern vorrangig auf uns selber beziehen

 

 

"SONDERFORMEN AN INFORMATIONEN"

 

E) Krisen:

dauerhafte, schwere Konflikte

F) Traumata:

sehr schwere Krise, die das Subjekt aus eigenem Vermögen u.U. nicht oder nur im Zuge eines sehr langwierigen Prozesses verarbeiten kann.

Eine mögliche (wenn auch nicht zwingende oder einzige) Steigerungsform von Trauma ist meiner persönlichen Ansicht nach die PSYCHOSE (dazu mehr im Kap. VIII).

 

KAPITELÜBERSICHT

 

 

 

Kapitel IV

KAPITEL IV: SITUATIONEN UND EREIGNISSE

 

Die einfachsten Inhalte unserer sinnlichen (u.a. visuellen) oder kognitiven (gedanklich-abstrakten) Wahrnehmung sind banale Objekte. Ein Objekt hat eine Form oder Gestalt, jedenfalls aber einen Umfang bzw. eine Begrenzung.

Weitere Identifikationsmerkmale eines Objekts sind ggf. dessen räumliche Position im Raum (vorne, hinten, links, oben…) oder seine  Lokalisation in Bezug zu anderweitigen Objekten (über, unter, neben,…) oder seine Zugehörigkeit in ein System (z.B. der Tisch des Wohnzimmers).

 

SITUATION

Die nachfolgend größere „Einheit“ an Wahrnehmungsinhalten ist die Situation. Sie bezeichnet das gleichzeitige Vorhandensein mehrerer (mind.2) * Objekte in einem  „abgegrenzten“ Bereich.  Diese „Abgrenzung“ kann tatsächlich physikalischer Natur sein (beim Blick in eine Schreibtischschublade oder beim Aufenthalt in einem Supermarkt, ist real nur zu sehen, was sich jetzt in der Schublade oder im Supermarkt befindet). Sie kann aber auch perspektivisch oder wahrnehmungsbedingt sein (wenn ich von der Zugspitze aus nach Süden blicke, sehe ich nur, was sich südlich von ihr in Sichtweite befindet). Das wesentliche Merkmal einer Situation besteht in der relativen Statik ihrer Inhalte. Es geht also um die räumliche oder abstrakte Anordnung / Beziehung von bzw. zwischen Objekten oder Inhalten allgemein. Eine Situation kann z.B. den Ausgangs-, Zwischen-, oder Endpunkt eines Ereignisses darstellen. 

*)= Man kann den Begriff natürlich auch auf ein Einzelobjekt anwenden, um z.B. dessen Zustand zu beschreiben (der Baum ist schön, der Mann ist groß). Dies soll im Rahmen der hier vorliegenden Betrachtungen aber unbeachtet bleiben.

 

EREIGNIS

Ein Ereignis beschreibt grundsätzlich die Veränderung (Entwicklung, Reaktion, Wechselwirkung) zwischen mehreren (mind. 2)* Objekten innerhalb einer Situation oder die Veränderung der Situation als solchen.

*)= auf ein Einzelobjekt bezogen beschriebe ein Ereignis seine Zustandsveränderung, etwa "das Kind wächst", "das Auto beschleunigt". Auch dies soll hier bewusst vernachlässigt sein.

 

Diese Begriffsdefinitionen für Situation und Ereignis sind nicht sehr belastbar, wollte man allein die Statik (die reine Anordnung) bzw. Dynamik (die kontinuierliche Veränderung) sehr eng als Kriterium hierfür heranziehen. In der Natur wird man kaum vollendeten Stillstand und zumindest nur seltene Fälle steter Dynamik vorfinden.

 

Eine vorläufige Ergänzung:

Einigen wir uns auf folgende Aussagen: Innerhalb einer gegebenen Situation überwiegt die Statik (die reine Anordnung oder Beziehung von/zwischen Objekten), innerhalb eines Ereignisses hingegen die Dynamik (die Veränderung, Bewegung, Entwicklung).

 

Noch eindeutiger ist folgende Ergänzung:

Eine Situation ist grundsätzlich "vom Rand oder Rahmen her" definiert. Etwa eine Geburtstagsfeier oder ein Fußballspiel: Aus bereits gegebenem (und bekannten) Anlass bzw. unter vorgegebenen Bedingungen interagieren Personen und Objekte auf bestimmte Weise miteinander. Der ganze Entwicklungsverlauf ist grundsätzlich absehbar. Die Entwicklung läuft auf ein finales, sich "innerhalb des Rahmens" befindliches (End)-Ergebnis zu.

Die Situation bleibt so lange eine Situation (und wird nicht zum Ereignis), bis die in ihr enthaltenen "Mikroereignisse" hinlänglich „gering“ sind, um den "Rahmen nicht zu sprengen".

Abb.54: Eine Situation verfügt über einen tendenziell "stabilen Rahmen" und eine tendenziell "nach innen" gerichtete Entwicklung

 

Ein Ereignis hingegen beginnt mit einem vom Zentrum ausgehenden, dynamischen Vorgang oder Prozess, der sich "nach außen" in Richtung eines zunächst unbekannten Rahmens hin entwickelt! Betrachten wir z.B. eine Massenschlägerei vor einer Diskothek. Menge und Art der Folgeereignisse (und -situationen) sind zunächst nicht absehbar (Verletzte, Tote, Sachbeschädigungen, Polizeieinsatz, Gerichtsverfahren,...).

 

Abb.55: Ein Ereignis beginnt von einem "zentralen Auslöser" und hat "nach außen" gerichtete Entwicklungsverläufe.

Ein Ereignis bleibt so lange ein Ereignis (und wird nicht zu einer Situation), als die dynamische Entwicklung nicht "erstarrt". Für das „Ende“ eines Ereignisses kommen mehrere Möglichkeiten in Frage, von denen hier nur drei erwähnt werden sollen: Die erste bedeutet, dass der Vorgang, der Prozess eines Ereignisses (z.B. zwei rollende Bälle) zu einer Situation werden (zwei still liegende Bälle). Andernfalls wird aus dem Ereignis ein anderweitiges Ereignis (z.B. aus zwei rollenden Bällen werden Bälle, die mit einem Hindernis kollidieren). Darüber hinaus kann sich ein Ereignis in einen ganzen Fächer verschiedenartiger Folge-Ereignisse und -situationen aufsplitten.

Viele Vorkommnisse in unserer Umwelt, allerdings auch innerhalb unserer geistigen Wahrnehmungslandschaft, vereinen in sich auch unzweifelhaft statische und dynamische, also sowohl "nach innen" als auch "nach außen" gerichtete Entwicklungspfade.

Denken wir an eine Geburtstagsparty, die aufgrund des Erscheinens einer Gruppe ungebetener Gäste in eine Schlägerei übergeht! Zum einen entwickelt sich die Veranstaltung "nach innen" auf das "Ende der Party" zu, gleichzeitig aber auch in einer unabsehbaren, undifferenzierten Weise "nach außen".

 

Die Vorstellung eines Situationsereignisses bzw. einer Ereignissituation ist also plausibel!

 

 

Abb.56: Eine Ereignissituation vereint in sich "nach innen" und "nach außen" gerichtete Entwicklungsverläufe (oder deren Wahrscheinlichkeiten)

 

Letztendlich ist es - auch in den hier nachfolgenden Betrachtungen - weder notwendig, noch in letzter Konsequenz möglich, zwischen Situationen und Ereignissen oder eben "Situationsereignissen" ultimativ zu unterscheiden! Gleichwohl macht es Sinn, zwischen ihnen zu differenzieren.

 

 

ARTEN von SITUATIONEN und EREIGNISSEN

Man kann zwischen realen, wahrgenommenen und erlebten Situationen und Ereignissen unterscheiden.

Erstgenannter Fall strapaziert unsere Vorstellung am geringsten. Es handelt sich um Anordnungen von Dingen (Situationen) oder die Interaktion zwischen Dingen (Ereignisse) in der realen, physikalischen Welt.

Eine wahrgenommene Situation oder ein wahrgenommenes Ereignis hingegen wird innerhalb unserer (sinnlichen oder gedanklich-kognitiven) Wahrnehmung repräsentiert.

Alle real (betrachtungsunabhängig) vorhandenen Dinge und Vorgänge sind reale Situationen und Ereignisse. Alles was ich wahrnehme (ob visuell, taktil oder in der gedanklichen Vorstellung) sind wahrgenommene Situationen und Ereignisse. Im Falle einer erlebten Situation oder eines erlebten Ereignisses nehme ich die betreffenden Inhalte nicht nur wahr, sondern bin den konkreten Bedingungen der Situation oder des Ereignisses direkt ausgesetzt bzw. bin selbst sowohl Beobachter als auch Teil der beobachteten Situation.

Die Inhalte von realen und wahrgenommenen Situationen und Ereignissen sind zum Einen nicht deckungsgleich. Das Hirn generiert nach gleich bleibender zeitlicher Taktung Perspektiven und somit neue Wahrnehmungs-Situationen, die Größenordnungen realer Ereignisse sind hingegen höchst unterschiedlich (natürlich beziehen sich mehrere aufeinander folgende Wahrnehmungs-Situationen mitunter auf die gleiche reale äußere Situation). Zum Andern wird die wahrgenommene Situation oder das wahrgenommene Ereignis um Inhalte zensiert, die unserer Wahrnehmungsfähigkeit aus Kapazitätsgründen (ebenso wegen biologischen und psychologischen Filtern) entgehen, demgegenüber wiederum um Inhalte ergänzt, die unserer Vorstellung oder Phantasie geschuldet sind.

Auch zwischen wahrgenommenen und erlebten Situationen und Ereignissen bestehen Unterschiede:

Die wahrgenommene Situation steht für alle Inhalte, die ich tatsächlich anteilig aus der realen Situation wahrnehme (etwa die Spieler eines Fußballspieles). Die erlebte Situation hingegen steht für die Summe aller Faktoren, die währenddessen insgesamt auf mich, meinen Körper und mein Bewusstsein (einschließlich meiner Wahrnehmungsfunktionen) einwirken (z.B. Wetterverhältnisse, Licht, Temperatur, Langeweile, Stress, Ablenkung,…)!

Manchmal registrieren wir in der nachfolgenden wahrgenommenen Situation Inhalte der vorherigen erlebten Situation , etwa wenn wir bemerken: „Mir war vorhin kalt!“ oder „Es war soeben sehr laut hier.“

In eine erlebte Situation bin ich als Beobachter involviert, bin selber Teil von ihr. Die wahrgenommene Situation hingegen ist eine Repräsentation, eine mentale Abbildung der einen Anteil der erlebten Situation widerspiegelt. Ich bin von ihr "getrennt", die Situation befindet sich "vor" mir (vor meiner bzw. im Fokus meiner augenblicklichen Perspektive).

Pauschal kann ich aber sagen: jedes erlebte/wahrgenommene Ereignis ist der Ausschnitt einer größenmäßig übergeordneten realen Situation und umgekehrt!

Situationen und Ereignisse können sich auf Objekte und deren Beziehung/Wechselwirkung beziehen ("eine Katze fängt gerade eine Maus") oder aber die Inhalte und Merkmale eines raumzeitlichen Ausschnittes beschrieben, wobei hier sowohl ein realer Ort ("Auf der Straße nach Augsburg....") als auch ein temporär-imaginärer Ort (oder Zeitpunkt) gemeint sein kann ("links aus dem Zugfenster blickend, erkenne ich gerade......").

 

ABGRENZUNGEN UND UNTERSCHIEDE ZWISCHEN bzw. VON SITUATIONEN UND EREIGNISSEN

Situationen unterscheiden sich untereinander z.B. in der Art und Menge der vorhandenen Inhalte, der Komplexität der Beziehungen zwischen den Inhalten, der Schärfe bzw. Durchlässigkeit ihres "Randes", u.a. Bei Ereignissen ist ein zusätzliches Unterscheidungsmerkmal die "Determiniertheit" ihrer Entwicklung, also die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit (oder sogar Gewissheit) sich bestimmte Entwicklungsverläufe und Ergebnisse einstellen müssen, also "vorherbestimmt" sind.

Aber wie und wodurch grenzen sich verschiedene Situationen und Ereignisse voneinander ab?

Folgende Fragen sollen helfen, diese Problematik zu veranschaulichen:

Frage 1: Was ist die größtmögliche erlaubte Veränderung innerhalb einer bestehenden Situation, die das Wesen der Situation insgesamt nicht verändert (also nicht zu einer "neuen" Situation, sondern nur zu einem zusätzlichen Merkmal der vormals bestehenden Situation führt)?

Frage 2: Was ist die geringste denkbare Veränderung innerhalb einer bestehenden Situation, die das Wesen der Situation insgesamt verändert und zu einer "neuen" Situation führt?

Es geht also um die Frage:

Entspricht eine Veränderung dem (neuen) Merkmal einer (alten) Situation oder ist sie die Ursache für eine (neue) Situation?

Denken wir an eine Wiese mit 100 Milliarden Grashalmen. Irgendein Faktor sorgt für die Krümmung eines einzigen Grashalmes (was wohl nur innerhalb einer vorgestellten Situation möglich ist, eine reale Einflussgröße auf einer realen Wiese würde, egal wie geringfügig sie auch sein mag, schwerlich nur einen einzigen Halm betreffen)? Handelt es sich nun um dieselbe Wiese, die eine Veränderung erfahren hat, oder um eine "andere" Wiese, weil sie (ein) anderweitiges Merkmal aufweist?

Ein weiterer Gedanke: Ist das ganze Universum insgesamt betrachtet die größtmögliche aller realen Situationen (weil hierin Galaxien, schwarze Löcher, Neutronensterne, Sonnen, Planeten) sich in einer Anordnung zueinander befinden oder ist es das größtmögliche aller realen Ereignisse (weil es sich ausdehnt, ausdünnt, abkühlt und an Entropie zunimmt)?!

 

Natürlich gibt es reale Situationen und Ereignisse, die sich aus rein physikalischen Gründen völlig voneinander abgrenzen. Das Münchner Oktoberfest ist ein völlig anderes Ereignis als ein Gottesdienst im Kölner Dom! Sie haben allein schon der räumlichen Trennung wegen schwerlich etwas miteinander zu tun! Ebenso sind z.B. der Kühlwasser- und der Schmierölkreislauf in einem Motor funktional eindeutig voneinander getrennt.

Zwischen erlebten und wahrgenommenen Situationen und Ereignissen bestehen i.d.R. weniger zwingende Abgrenzungen. Aber es gibt sie natürlich, etwa aus wahrnehmungs- bzw. perspektivisch bedingten Gründen: drehe ich als Besucher des Münchner Oktoberfestes meinem Kopf (an einem beliebigen Standort) nach links, sehe ich andere Personen und Objekte als bei einer Kopfdrehung nach rechts; sitze ich auf der Zugfahrt nach München auf der rechten Fensterseite, sehe ich draußen andere Dinge, als wenn ich aus dem linken Fenster schauen würde,... Den Blickfeldrand könnte man als plausiblen Rand einer visuell wahrgenommenen Situation anerkennen. Die latente „Übergangszone“ zwischen Vorder- und Hintergründigem ebenso.

Der Rand einer Situation kann auch durch die Menge der nicht definierten Beziehungen der in ihr enthaltenen Elemente (Objekte, Personen, Symbole, etc.) gebildet werden.

Analog hierzu sind im Falle eines Ereignisses unsere vagen, in Unwissenheit übergehenden Vorstellungen über die angenommene Natur der Sache oder deren möglichen Verlauf (oder "Endzustand") der jeweilige „Rand“.

Der Rand eines Ereignisses entspricht insofern dem unbekannten Potential seiner möglichen Entwicklungsverläufe.

Ebenso denkbar: ein absehbares oder angenommenes determiniertes Ergebnis des noch im Veränderungsprozess befindlichen Ereignisses, wenn ich als Beobachter also weiß oder zu wissen glaube, was das Endergebnis sein wird.

Skalierende Effekte sind, davon abgesehen, dass aus ihnen ursächlich (neue) Situationen und Ereignisse hervorgehen können, ebenso für die Ab- oder Begrenzung derselben verantwortlich.

Skalierung bedeutet, dass ein Objekt, ein System oder ein Prozess im Zuge der Veränderung seiner Größe oder Ausdehnung inhomogen wird, also lokal unterschiedliche Eigenschaften erhält. Dies kann zu einer bestimmten "indirekten" Art von Auf- oder Einteilung eines Raumes, auch eines abstrakten Wahrnehmungsraumes, führen. Ein einfaches Beispiel: Ich schaue bei dichtem Nebel (Sichtweise weniger als 50 Meter) vom Gipfel eines Berges nach Süden. Plötzlich klart das Wetter auf, Nebel und Wolken verschwinden und ich sehe hunderte Kilometer ins Flachland hinein. Die gleiche Wahrnehmungsfunktion, der gleiche Modus (Blickrichtung, Blickwinkel, beteiligte Sinnessysteme, u.a.) liefert plötzlich im selben wahrgenommenen Bereich eine viel größere Menge an verschiedenartigen bzw. unterscheidbaren Inhalten.

 

DETERMINIERTE UND NICHT- DETERMINIERTE EREIGNISSE

Ein Ereignis kann sich wie erwähnt auf die Veränderung eines Objektes, die Veränderung oder Wechselwirkung zwischen ko-existenten Objekten innerhalb einer Situation oder auf die Veränderung einer kompletten Situation an sich beziehen. Im Universum, auf der Welt und in unserem Alltag gibt es verschiedenste Ereignisse in verschiedensten Größenordnungen.

Eine besondere Eigenschaft von Ereignissen ist der Grad an Determination oder Bestimmtheit: Wie wahrscheinlich wenn nicht gar zwingend, wie schnell und wie konstant ("störungsimmun") wird ein bestimmtes (vorgegebenes) Resultat aus dem betreffenden Ereignis hervorgehen?

 Manche Ereignisse führen zu sehr eindeutigen, mit Sicherheit eintretenden Ergebnissen! Der Tag-/Nacht-Wechsel ist die zwangsläufige Folge der Erdrotation und bedürfte einer außerordentlichen kosmologischen Störung um nachhaltig verändert zu werden. Die Verlangsamung der Erdrotation über Millionen von Jahren hinweg ist indes ebenfalls absolut sicher.

Sowohl der sehr kurzfristige Effekt (etwa, dass es in 5 Stunden dunkel ist, wenn wir im Moment angenommener Weise 15:00 Uhr im Winter haben) als auch die langfristige Tendenz (die Verlangsamung der Erdrotation) ist vollständig determiniert.

Manche Ereignisse vollziehen sich sehr rasch, etwa bestimmte chemische Reaktionen, manche sind von langfristiger Dauer, wobei ein sich sehr langsam vollziehendes Ereignis dennoch stärker determiniert sein kann wie ein sehr kurzfristiges. Dass der 5.Januar des Jahres 3015 unserer Zeitrechnung ("nach Christus") ein Donnerstag sein wird, ist jetzt schon sicher (falls kein wirklich großer Kometeneinschlag die Erdrotation oder die Erdumlaufbahn  signifikant verändert)! Klingle ich hingegen in 5 Minuten an der Wohnungstür meines Nachbarn, wird er nur vielleicht, keinesfalls aber mit Sicherheit öffnen!

 

Die Vergangenheit und die (tatsächlich) determinierte Zukunft haben eine gravierende Gemeinsamkeit: die Unabänderlichkeit ihrer Ergebnisse!

Der 2. Weltkrieg in Europa endete am 8.Mai 1945. Das ist sicher, daran ändert sich nichts mehr! Der 05.Januar des Jahres 3015 n.Chr. wird ein Donnerstag sein! Das ist ebenfalls sicher

Sowohl für unsere bewusste Wahrnehmung, viel mehr aber auf Ebene der für die Generierung von Bewusstsein und Identität relevanten Prozesse ist es bedeutsam, dass Informationen einen "determinierten Status" erhalten, als unabänderliche (determinierte) Einheit wahrgenommen oder behandelt werden (selbst wenn sie weder komplett der Vergangenheit angehören, noch in ihrer Entwicklung vollendet oder ergebnissicher, in anderen Worten also gar nicht tatsächlich "determiniert" sind).

 

Undeklarierte und deklarierte Situationen und Ereignisse

Analog zu determinierten (ergebnissicheren) und nicht determinierten (ergebnisoffenen) Ereignissen gibt es deklarierte (künstlich geschaffene, manipulierte, "arrangierte" oder ansonsten zumindest "eindeutige") und nicht deklarierte (zufällige) Situationen und Ereignisse.

Sowohl im Fall einer deklarierten (oder deklarierbaren) als auch einer undeklarierten (oder undeklarierbaren) Situation handelt es sich um die relative (räumliche oder abstrakte) Anordnung von Objekten zueinander.

 Die Anordnung der Dinge entspricht im ersten Fall dem Ergebnis eines determinierten Ereignisses oder sie dient einem bestimmten Zweck und wurde in diesem Fall vorsätzlich herbeigeführt.

Im zweiten Fall handelt es sich um eine Anordnung von "Dingen" aus unbekannter Ursache zu nicht vorhandenem oder nicht ersichtlichen Zweck. Oder einfach schlicht um eine (reale oder als solche gedeutete) Zufallskonstellation, wie in folgendem Beispiel: Ich steige in München aus dem Zug und sehe auf den Bahnsteigen Menschen, Koffer, ein paar Tauben,... Natürlich hat jede einzelne Person ggf. ihren persönlichen Grund bzw. jedes Objekt seine "Ursache", sich genau jetzt hier zu befinden. Aber die Konstellation an sich ist Zufall! Der Schaffner der gerade aus dem Zug kommend an einer Frau mit Kinderwagen vorbeiläuft und dabei eine Taube aufscheucht ist nicht (geplant und vorsätzlich) genau hier, um vorsätzlich genau jetzt an einer Frau mit Kinderwagen vorbeizulaufen und eine Taube aufzuscheuchen (anstatt z.B. an einem Rentner vorbeizulaufen und dabei in einen ausgespuckten Kaugummi zu treten)!

Deklarierte Situationen und Ereignisse sind "vulnerabel", störanfällig! Ihr Zustandekommen und ihr Erhalt bedarf jeweils bestimmter Ursachen und Bedingungen, ihr Erhalt einen (Energie-)aufwand. Zu einer Geburtstagsfeier gehören z.B. Gäste und eine organisierte Zusammenkunft. Bricht Feuer im Gebäude aus oder beginnen die Gäste sich zu prügeln, erlischt die als solche geplante, beabsichtigte und verstandene Geburtstagsfeier. Es bedarf gewissermaßen einer "Begründung" oder "Ursache", damit eine deklarierte Situation in eine anderweitige deklarierte oder eben in eine undeklarierte Situation übergeht.

Undeklarierte Situationen und Ereignisse sind nicht "vulnerabel" oder störanfällig. Da Ursache und Zweck ebenso wenig vorhanden sind als ein determiniertes Folgeereignis, bedarf es auch keiner "Begründung" oder "Ursache" für Wechsel und Übergänge!

Wenn die Frau mit dem Kinderwagen plötzlich stehen bleibt, der Schaffner sich umdreht und zurückläuft (weil er z.B. im Zug was vergessen hat) und die Taube sitzen bleibt, herrscht eben zum Zeitpunkt X auf Bahnsteig 5 eine anderweitige Situation, ohne dass ich als (zufälliger) Beobachter das Gefühl hätte, hier müsste irgendetwas anders sein oder es bedürfte einer besonderen Begründung, warum sich jetzt genau diese und nicht andere Dinge hier befinden bzw. warum genau dieses und nicht jenes gerade geschieht!  Genau diese quälende Empfindung kann ein Psychotiker durchleben oder vielmehr durchleiden! Er kann die "Selbst-Verständlichkeit" einer zufälligen Situation nicht anerkennen!

Die vorangestellten Ausführungen über "Begrenzungen", zur Un-/deklariertheit von Situationen, über die Auswirkung von Veränderungen (ob sie eine neue Situation erzeugen oder "nur" einem zusätzlichen Merkmal einer "alten" Situation entsprechen), etc. beziehen sich weniger auf das Alltagserleben! Es geht darum, wann und wie sich bewusstseins- und perspektivengenerierende Prozesse innerhalb ihrer jeweiligen Reverenzwertigkeiten (was das Erkennen einer "vollständigen Situation" betrifft)  "angesprochen" fühlen, ihren jeweiligen Beitrag an Vorgängen des Wahrnehmens, Denkens und Erlebens zu leisten!

 

BEZIEHUNGEN ZWISCHEN SITUATIONEN UND EREIGNISSEN

Die symbolhafte grafische Darstellung eines Ereignisses in Form eines regelmäßigen Vierecks mit sich gleichmäßig ausdehnenden Entwicklungspfaden ist natürlich unrealistisch!

 

Abb. 57: Idealisierte Darstellung der Entwicklung eines Ereignisses

 

Ein solch homogenes Ereignis würde oder müsste sich unter Wahrung von Symmetrie und Proportionalität insgesamt ausdehnen:

 

 

Abb.58: gleichartige und /-mäßige Veränderung (Ausdehnung) eines Ereignisses

 

oder sich in völlig gleichartige Folgesituationen, -ereignisse, -ergebnisse aufspalten:

 

 

Abb.59: Aufspaltung in in gleichartige Folgeereignisse

 

 

Realistischer stellt man sich ein Ereignis schlechthin symbolhaft als unregelmäßiges Vieleck vor:

 

 

Abb.:60 Ein Ereignis mit verschiedenen zufälligen, mitunter auch chaotischen Entwicklungspfaden

 

Nehmen wir an, das als unregelmäßiges Vieleck dargestellte Ereignis würde eine Schlägerei symbolisieren. Im Verlauf eines solchen Ereignisses sind nicht sämtliche Folgesituationen und -ereignisse „gleichartig“, was die Tragweite ihrer Konsequenzen betrifft! Die starken Pfeile könnten für schwerwiegende "Ergebnisse" (etwa schwer oder lebensgefährlich verletzte Personen), die schwachen, kleinen Pfeile für "Nebensächlichkeiten" (etwa eine zerkratzte Armbanduhr oder eine verlorene Mütze) stehen.

Situationen und Ereignisse können ineinander gespachtelt sein: Die ineinander einbeschriebenen Rechtecke könnten z.B. folgende Geschichte symbolisieren: Ich unternahm einen Ausflug nach München (das äußerste Rechteck). Ich ging ins Museum (mittleres Rechteck) und sah mir dort den Bergwerksnachbau an (inneres Rechteck).

 

Abb.61: Verspachtelte Situationen oder Ereignisse

Situationen und Ereignisse können sich linear aneinander reihen wie nachfolgend dargestellte Rechtecke, die bspw. für eine Geschichte dieser Art stehen könnten: Ich fuhr in meinem Spanienurlaub erst mach Madrid (linkes Rechteck), dann nach Barcelona (mittleres Rechteck) und schließlich über die portugiesische Grenze nach Lissabon (rechtes Rechteck).

 

Abb.62: aneinander gereihte Situationen oder Ereignisse

 

Selbstverständlich ist die Mischform möglich:

Ich fuhr nach Ort A,B,C,D (von links nach rechts). In Ort B  unternahm ich Aktion 1,2,3 oder habe Objekt X,Y,Z besichtigt (einbeschriebene Rechtecke im zweiten Rechteck).

Abb.63: Mischvariante an gereihten und verspachtelten Situationen oder Ereignissen

Davon abgesehen, dass sich Situationen und Ereignisse mitunter nur infolge unserer Wahrnehmungsperspektive oder skalierender Effekte (die sowohl in der Realität, als auch im Informationsstrom unseres Bewusstseins auftreten) voneinander abgrenzen, sind sie zumeist in weitaus komplexerer Form ineinander verwoben!

 

Ab. 64: Überschneidungsarten von bzw. zwischen Situationen und Ereignissen

 

Der "auslaufende" Entwicklungspfad eines Ereignisses ist zugleich der ins Zentrum gerichtete Entwicklungspfad einer Situation: das linke Rechteck soll neuerlich für unsere oft bemühte Schlägerei stehen. Der Pfeil, der sich sowohl rechts oben im roten als auch links unten im blauen Rechteck befindet, repräsentiert einen Verletzten, der mit dem Krankenwagen abtransportiert wird und ins Krankenhaus kommt. Das linke Rechteck ist also das Ereignis der Schlägerei, das rechte Rechteck die Situation im Krankenhaus.

 

Innerhalb unserer Wahrnehmung "organisieren" und repräsentieren wir Situationen und Ereignisse mitunter symmetrisch und abgegrenzt wie Marineplanquadrate! In der Realität aber befinden wir uns in einem unentwegten Mengengelage, von sich aneinanderreihenden, ganz oder teilweise integrierenden und überlappenden Situationsereignissen!

 

Abb.65: Sich vielfach überlagernde/überlappende Situationen und Ereignisse

 

 

Es gibt Entwicklungsverläufe, deren einzelne Ursachen innerhalb verschiedener, voneinander getrennt ablaufender Ereignisse liegen, wie in nachfolgender Abbildung: Die einzelnen Ereignisse/Situationen führen zu unterschiedlichen Ergebnissen und Folgesituationen bzw. -ereignissen. Über die Skalen und Stufen verschiedener solcher Ereignisse und Folgeereignisse hinweg tritt aber ein Symmetrieeffekt zwischen grundsätzlich getrennten Entwicklungspfaden auf (die 4 gelb markierten roten Pfeile), welche, obgleich jeweils aus verschiedenen Ursachen stammend, ein zusammenhängendes Ereignis bilden!

 

Abb.66: Aus verschiedenen Pfaden finden sich "zusammenpassende", eine Einheit bildende Elemente

Die vier "gelb markierten Pfeile" bilden aufgrund ihrer symmetrischen Anordnung eine logische Einheit im Sinne einer zusammenhängenden Situation oder eines zusammenhängenden Ereignisses, obgleich sie aus verschiedenen, an sich nicht zusammenhängenden Situationen oder Ereignissen hervorgingen bzw. vormals "nichts miteinander zu tun" hatten. Es bildet sich also ein neues Ereignis aus dem Mengengelage teils vorangegangener (nicht mehr vorhandener) und teils weiterhin aktiver, jedoch getrennter Ereignisse! Ein simples Beispiel zur Veranschaulichung: Ich lande mit meinem Auto im Straßengraben. Vier weitere Verkehrsteilnehmer finden sich ein und helfen mir, das Auto wieder auf die Fahrbahn zu schieben. Die vier Leute sind nicht extra "angereist" um mein Auto zu bergen! Sie sind aus jeweils eigenen zufälligen Ursachen hierher gekommen, um nun aber eine gemeinsame Aktion auszuführen!

Die Interaktion zwischen Objekten oder die Entwicklung eines Einzelereignisses kann grundsätzlich in höchst linearen und analogen Schritten erfolgen, wie etwa bei einer Autofahrt von Augsburg nach München, bei der jeder einzelne Streckenpunkt nach dem anderen abgefahren wird.

 

Interaktionen und Wechselwirkungen zwischen Situationen und Ereignissen oder zwischen Objekten, die während ihrer Wechselwirkung "nicht autonom" sind, sondern zusätzlich den Bedingungen anderweitiger Situationen und Ereignissen ausgesetzt und von deren Kontext abhängen, verlaufen anders!

Zum Beispiel ergeben sich hieraus "temporäre" Elemente, z.B. Orte, die in der direkten Realität nicht vorhanden sind, die sich aber als "Folge" einer Situation/eines Ereignisses ergeben. Ein Beispiel: Man kann jedes Objekt auf der Welt genau lokalisieren. Nehmen wir an, jemand fährt auf der A 7 von Freiburg nach Hamburg. Mit Blick auf die Karte sehe ich genau, wie sein Weg verläuft und an welchen Städten er vorbeifahren muss. Nun erzählt uns ein Bekannter er war "an einem größeren Weiher" beim Angeln. Er hätte das Auto "50 Meter vor dem Weiher" geparkt und "neben dem Auto" ein Zelt aufgestellt. Ferner hätte er ein ein Bier getrunken, nachdem er den ersten Fisch gefangen hat. Die Ort- und Zeitangaben erscheinen uns logisch, obwohl wir nirgends auf dem Globus "50 Meter vor dem Weiher" oder "neben dem Auto" finden! Ebenso wenig wissen wir, wann "nach dem ersten Fisch gefangen" war! Die Ort- und Zeitangaben sind abhängig von der Geschichte, vom Ereignis und ergeben nur in diesem Kontext einen Sinn.

Ein anderes Beispiel: Jemand sagt mir, er sei gerade dabei, die Zahlen 3 und 5 im Kopf zu multiplizieren. Somit weiß ich, dass er auf 15 kommen wird (sofern er in der Lage ist, diese Grundrechenart auf natürliche Zahlen niedrigen Betrages anzuwenden und sich nicht verrechnet). Sagt er aber, er hätte gerade eine Rechenaufgabe ausgeführt, deren Ergebnis 15 ist, verhält es sich anders! Ich könnte vermuten, er hätte die Zahlen 3 und 5 multipliziert. Ebenso könnte er aber auch gerechnet haben: 2*3+9 oder 2*6+3 oder 15*1 oder 2+2+2+2+2+2+2+1 oder 150.000.000. geteilt durch 10.000.000. oder die Kubikwurzel aus 1000 plus 2 zum Quadrat plus 1!  Ich kann das Ergebnis, selbst bei gegebener Gewissheit, es sei ganz sicher aus einer sehr konkreten Operation hervorgegangen, keinesfalls im Umkehrschluss auf die (tatsächlich richtige) Operation zurückführen, weil auf einmal die schiere Unendlichkeit an möglichen Operationen als Ursache in Frage kommt!

Oder betrachten wir kurz das unten abgebildete Schachspiel:

 

 

Abb.67: nicht analoge Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen Objekten und einer Situation

 

 Wenn der rot markierte weiße Bauer die Position des ebenfalls rot markierten schwarzen Bauern in Abb.67 einnehmen (ihn also "schlagen") sollte, treten gleichzeitig Konsequenzen für nicht weniger als 7 Figuren ein:

 

 

Abb.68: Bei diesem einfachen Zug gibt es insgesamt 7 "Betroffene"

 

1. der schwarze Bauer wird ausgeschaltet

 

2. der den Zug ausführende weiße Bauer verliert seine Doppeldeckung seitens der beiden Figuren links und rechts unterhalb von ihm (weißer Läufer & weißer Bauer)

 

3. der weiße Bauer wird nicht nur - wie bisher - durch das schwarze Pferd, sondern zusätzlich durch den schwarzen Turm bedroht

 

4. der weiße Bauer kann durch die ihn nun bedrohenden Figuren ungesühnt geschlagen werden, da er seine bisherige Deckung durch 2 Figuren (s. P.2) verliert

 

5. die durch den weißen Bauern bisher gewährleistete Deckung für den weiße Läufer links unten gegenüber dessen feindlichen schwarzen Artgenossen rechts oben (oberste Reihe, dritte Figur von rechts) geht verloren.

 

Es gibt hier also keine Beziehung im Sinne von "Eine Ursache- eine Wirkung" oder "Eine Aktion - ein Ergebnis"

 Ich kann den Zug nicht so ausführen, dass wahlweise nur eine, zwei oder drei der genannten Wirkungen eintreten! Auch bei Zerlegung in noch so kleine mikroskopische Zwischenschritte fände ich keinen Punkt, an dem selektiv nur die Eine oder die Andere Wirkung eintreten würde! Hier gibt es nur ein Gleichzeitig, kein Vorher und Nachher! Ebenso richtig ausgedrückt: Ein "Alles oder Nichts"!

 

Abschließend:

Wir wissen: viele Ergebnisse aus realen Ereignissen hängen sehr linear von der konkreten Natur der beteiligten Objekte und der konkreten Art des Zusammen- oder Wechselwirkens ab! Damit etwa eine Industriemaschine ein bestimmtes Produkt herstellt, muss der richtige Werkstoff in der richtigen Menge an der richtigen Stelle zugeführt werden!

Bei der Wechselwirkung zwischen Objekten, die sich ihrerseits in variablem Zustand innerhalb einer jeweiligen Situation (oder eines Ereignisses) befinden, kann sich das anders verhalten!

 

Abb.69: Interaktion (hier: einfaches) Zusammenfügen von Objekt A mit Objekt B führt zu Objekt C.

 

Abb.69 beschreibt einen linearen Prozess, der ggf. in analogen Umkehrschritten rückgängig gemacht werden kann.

Anders ist es am Beispiel in Abb.70:

Undifferenzierter Prozess A ("schwarzer Wirbel") und undifferenzierter Prozess B ("blauer Wirbel") erzeugen jeweils für sich undifferenzierte Ergebnisse (gestrichelte geometrische Figuren). Durch Zusammentreffen zweier undifferenzierter Ergebnisse aus den jeweiligen Prozessen entsteht ein differenziertes Ergebnis (gelbes Dreieck mit rotem Rand).

Abb.70: Aus zweierlei für sich jeweils unklaren Beiträgen wird eine konkrete (deklarierte, determinierte) Einheit

Analogie: Wenn ich eine eindeutige Lüge aus zwei voneinander unabhängigen Quellen höre, könnte ich geneigt sein, sie als Wahrheit zu erachten.

 

KAPITELÜBERSICHT

 

 

Kapitel V

 

INNEN-,AUSSENPERSPEKTIVEN UND SKALIERUNG

 

WAS HABEN WAHRGENOMMENE ODER ERLEBTE SITUATIONEN UND EREIGNISSE MIT GEISTIG-MENTALEN PERSPEKTIVEN GEMEINSAM?

 

Die wichtigste Analogie schlechthin ergibt sich aus den Gegenüberstellungen von "Situation" und "Außenperspektive" sowie "Ereignis" und "Innenperspektive".

Als Situation haben wir die gleichzeitige Koexistenz mehrer Objekte in einem real oder wahrnehmungsbedingt "abgegrenzten" Bereich sowie die relative (räumliche oder abstrakte) Anordnung oder Beziehung dieser Objekte zueinander beschrieben.

 Als Ereignis hingegen haben wir die reale Veränderung (Reaktion, Verhalten, Verlauf, Wechselwirkung, Entwicklung,..) der Objekte oder der Gesamtsituation (des "Rahmens", innerhalb dem sich die Objekte befinden) dargestellt. Wir mussten die Begriffe um mancherlei Aussagen erweitern und konnten feststellen, dass die Wahrnehmung, das Erkennen von Situationen und Ereignissen mitunter sehr stark von den Bedingungen des Erlebens abhängt.

Unter Perspektive soll vorrangig die gemeinsame Ausrichtung oder das "gerichtet - sein" verschiedener Wahrnehmungsfunktionen eines kognitiven Systems oder Subjekts verstanden sein. "Vor" einer (sinnlichen oder abstrakt-kognitiven) Perspektive, also im "Fokus", steht immer ein Objekt (Gegenstand der Betrachtung), "hinter" der Perspektive steht das Subjekt (Ich, Selbst) oder ein wahrnehmungsfähiges System (Assoziationszentrum). Innerhalb des kognitiven Apparates des Subjekts oder Systems ist das Objekt aus der Umwelt in Form einer Information repräsentiert (abgebildet).

 

Betrachten wir hier die bewusste, von Aufmerksamkeit und Interesse, ggf. auch von Motivation und Vorurteil geprägte Perspektive des Subjekts.

 

Analog zu den Begriffen "Situation" und "Ereignis" kann ich hier von einer "Innen-" und einer "Außenperspektive" sprechen.

Maßgebliches Kriterium für diese Unterscheidung ist die räumliche (oder abstrakte) Position des Subjekts in Bezug auf die wahrgenommenen Inhalte:

Ich kann alles Mögliche "von innen" oder "von außen" sehen, wahrnehmen und erleben! Ein Kino, einen Supermarkt, ein Verkehrsmittel, eine Hochzeitsfeier,… Ich kann innerhalb meiner Vorstellung auch Dinge "von außen" betrachten, denen gegenüber ich in der Realität niemals eine echte Außenperspektive einnehmen könnte, z.B. die Erdkugel! Die wenigsten von uns haben praktische Astronautenerfahrung, sich die Erde aber insgesamt (von irgendeinem willkürlichen Raumwinkel heraus) vorzustellen, überfordert uns aber nicht - auch wenn gerade kein Globus zur praktischen Veranschaulichung verfügbar ist! Wir können uns auch selbst, also ein gedankliches Bild unseres Körpers "von außen" vorstellen, obwohl wir unseren Körper nicht verlassen können (jenseits- bzw. seelengläubige Menschen mögen dies natürlich anders sehen).

Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen einer Innen- und einer Außenperspektive?

 

Außenperspektive:

Was ich aus einer Außenperspektive heraus betrachte, empfinde ich als "Einheit"! Ich sehe die "ganze Straßenbahn", den "ganzen Supermarkt", das "ganze Krankenhaus". Das ist zwar genau genommen nicht korrekt, da ich z.B. ein Gebäude immer nur von einer Seite (vorne, hinten, links, rechts) sehe. Aber darauf kommt es hier nicht an. Zum einen ist unsere Welt sehr stark von Symmetrieeffekten geprägt, zum Andern geht es ja ohnehin um "wahrnehmungs- und perspektivisch bedingte", nicht um reale Vollständigkeit.

Ferner gilt: Was ich aus einer Außenperspektive heraus wahrnehme, ist für mich Vergangenheit oder "determinierte Zukunft". Wir erinnern uns: Determination heißt Bestimmung, Festlegung. Manche Ereignisse oder Vorgänge sind von Beginn ihrer Entwicklung weg sehr stark determiniert und können sich nur in einer vorgegebenen Weise auf ein vordefiniertes Ergebnis hin entwickeln (vgl. Kapitel IV).  

Ferner kann ich sagen: koexistente, aus einer "Außenperspektive" heraus wahrgenommene oder erlebte Inhalte neigen zur "Konvergenz", zur Vereinigung zu einem "Gesamtkonzept", etwa schlicht zu einer als einheitlich empfundenen Situation, die das Subjekt als widerspruchsfreie Einheit wahrnimmt und erlebt. Für diese Situation, also diesen die Inhalte umschießenden "Rahmen", muss es nicht zwingend einen Begriff geben. Sie kann rein funktional bedingt sein!

 

Innenperspektive:

Was ich aus einer Innenperspektive heraus erlebe, empfinde ich als "Vielfalt" oder zumindest als "partitioniert"! Es gibt Orte, Richtungen und Unterschiede. Im Supermarkt gibt es einen Bereich mit Lebensmitteln, es gibt eine Wursttheke, es gibt einen Bereich mit Reinigungsmitteln, In der Straßenbahn gibt es ein vorderes und ein hinteres Abteil. Dort gibt es ferner Bereiche, in denen die Personen eher stehen als sitzen, einen Bereich mit mehr Kindern als Erwachsenen, einen Bereich, indem mehr oder lauter gesprochen wird,...... Ich als Beobachter bin vom Objekt, vom Gegenstand der Beobachtung, nicht radikal getrennt, ich bin in ihm, bin Teil von ihm und möglicherweise beeinflusse ich durch meine Anwesenheit auch das beobachtete System! Ich bin gleichzeitig Beobachter als auch Inhalt einer beobachteten Situation.

Was ich aus einer Innenperspektive heraus erlebe, ist Gegenwart oder unmittelbare (nicht determinierte) Zukunft! Es gibt offene Ergebnisse, unvollendete und ungewisse Entwicklungsverläufe, etc. Koexistente, aus einer "Innenperspektive" heraus wahrgenommene Inhalte neigen zur "Divergenz", zur Aufspaltung. Was ich erlebe, gleicht (real oder funktional) eher einem Ereignis als einer Situation, also der Veränderung von wahrgenommenen Dingen und deren Kontext.

Maßgeblich für den Erlebensprozess, für den Sinngehalt des Realitäts- und Selbsterlebens, ist die latente Verschmelzung von Innen- und Außenperspektiven! Ich kann im Supermarkt verschiedene Bereiche unterscheiden, bin mir aber gleichzeitig bewusst, im Supermarkt zu sein. Natürlich sind nicht alle Objekte, Situationen und Ereignisse klar definiert oder womöglich auch noch räumlich festgelegt wie ein bzw. wie in einem Supermarkt! Dennoch hat unser Erlebensprozess immer einen "Gesamtrahmen", sei es, dass dieser tatsächlich als Information vorliegt (wie bei einer Erinnerung- wenn ich von "Schulzeit" spreche), oder einer Funktion entspricht bzw. aus  einer vordergründigen Wahrnehmungsperspektive hervorgeht.

 

 

 

SKALIERUNG ALS SONDERFORM DER INFORMATIONSVERARBEITUNG

Skalierung bedeutet, dass eine Fläche, ein Objekt, ein System oder ein Prozess in eine andere Größenordnung übergeht (Verkleinerung bzw. Vergrößerung). Dies kann zu einer "indirekten" Art von Auf- oder Einteilung eines Raumes, auch eines (abstrakten) (Wahrnehmungs-) raumes, führen.

Hierzu ein anschauliches Beispiel: Bauer Hans hat 9 Schafe auf einer rechteckigen Weidefläche. Nehmen wir an, er geht auf sein Weide um nach den Tieren zu sehen. Wie würde er sie wohl vorfinden, wie wären sie wohl auf der Weidefläche verteilt?

 Etwa so......? Wohl kaum!

 

 

Abb.71: symmetrische Verteilung: Wer jemals an einer Viehweide vorbeiging, weiß, dass dies die mit Abstand unwahrscheinlichste Variante ist, obwohl sie den mathematisch-statistischen Sachverhalt (Relation der Fläche zur Anzahl an Tieren) optimal darstellt!

 

....doch wohl eher....so.......oder so......oder so......(Abb. 72,73,74)

 

 

Eine absolut symmetrische Verteilung der Tiere ist völlig unwahrscheinlich, selbst wenn die Geländebedingungen, die Vegetation und selbst die Wind- und Schattenverhältnisse auf der Wiese völlig homogen sein sollten! Allein schon Geselligkeitsaspekte würden für eine asymmetrische Verteilung sorgen (Weidetiere sind schließlich auch soziale Wesen und manche Individuen stehen sich, hier sozusagen im Wortsinn, "näher" als andere)! Je enger der eingezäunte Bereich ist, umso weniger Möglichkeiten hätten die Schafe für eine räumliche Verteilung (in einem Viehlaster eingepfercht schließlich wären sie tatsächlich alle "auf einem Haufen"). Je mehr die verfügbare Fläche erweitert (skaliert) wird, umso stärker wird die räumliche Verteilung insgesamt sein und umso mehr Asymmetrien (lokale "Häufungen") werden auftreten. Diese "Auf-" oder "Einteilung" des Raumes (in Bereiche mit dichterer bzw. geringerer Konzentration an Tieren) ist im Falle einer "Skalierung" also nicht durch physikalische Barrieren, sondern durch in Korrelation zur Größenordnung des Raums stehende Eigenschaften bedingt!

Durch Skalierung hervorgerufene "Teilungen" führen also innerhalb einer "Einheit" zu unterscheidbaren Bereichen mit lokal abweichenden Eigenschaften!

 

Abb.75: Weidetiere haben weder Grund noch Willen, sich auf einer gegebenen Fläche gleichmäßig und symmetrisch zu verteilen.

 

 

       

Abb.76, 77, 78: zufällige, symmetrisch- grobrastrige und symmetrisch- feinrastrige Ein-/Aufteilung einer Fläche

 

Warum oder wodurch wird ein Wahrnehmungsraum oder das mentale Erleben an sich überhaupt skaliert (ausgedehnt oder verengt) und partitioniert (aufgeteilt)? Es gibt sicherlich verschiedene Antworten darauf.

Eine simple Möglichkeit besteht in der qualitativen Veränderung einer (bestimmten, gleich bleibenden) Wahrnehmungsfunktion infolge sich ändernder äußerer Bedingungen. Ich stehe angenommener Weise auf einem Berg und schaue bei extrem dichten Nebel in eine bestimmte Richtung. Der Nebel verzieht sich, die Sonne strahlt vom Himmel. Ich schaue immer noch in die gleiche Richtung, sehe nun aber anstatt einer "weißen Wand" gefühlt unendlich weit in die Landschaft hinein. Das vormals homogene Gesichtsfeld weißt nun zahllose verschiedene Objekte bzw. verschiedenartige Bereiche auf, in denen sich Objekte (Städte, Wälder, Seeln, u.a.) befinden.

Ebenso möglich: ein sich erweiterndes kognitives Konzept, wie in diesem Beispiel: Die Schwiegermutter kündigt ihren Besuch am Sonntag an. Dem Schwiegersohn wird zunächst "nur" schmerzhaft bewusst, dass er an diesem Tag nicht zum angeln gehen kann. Nach und nach erweitert sich seine Vorstellung um (die Tragweite des) anstehenden Ereignisses: Seine Frau muss einen Braten zubereiten, es besteht die Gefahr kontroverser Debatten über richtige Kindererziehung, man kann nicht in Jogginghose im Wohnzimmer sitzen,... Das vormals "einschichtige" wird, noch bevor überhaupt eingetreten, zu einem "größeren Ereignis" mit verschiedenen, voneinander unterscheidbaren Inhalten.

 

Aber es gibt noch eine andere, vielleicht bedeutungsvollere Ursachen für Skalierungen und Partitionierungen des Wahrnehmungsraumes:

 

Eine davon lautet, so sei hier postuliert, dass verschiedene, für die neuronale Informationsverarbeitung zuständige Subprozesse, darunter "Agenten" oder Algorithmen, die parallel aktiv sind (um z.B. Muster zu erkennen), einen gemeinsamen Aktionsraum durch ihre jeweilige Aktivität indirekt beeinflussen und die Struktur dieses "Raumes" für jeweils anderweitige Funktionen, "Agenten" oder Algorithmen verändern.

Als simple Analogie könnten wir uns mehrere Verschiedene Kellner vorstellen, die eine große Tischgesellschaft bedienen. Sie müssen nicht nur mit den räumlichen Begebenheiten und der Sitzordnung der Gäste an sich, sondern auch mit den kreuzenden Bewegungsbahnen der jeweils anderen Kellner klarkommen.

 

Auf bewusster Ebene neigen wir dazu, die Welt nach bipolar-symmetrischen Gesichtspunkten wahrzunehmen und (radikal-überspitzt) zu vereinfachen: gut-böse, schwarz-weiß, oben-unten, etc. Es handelt sich mglw. um eine Extrapolation der allgemein vorhandenen neuronalen Skalierungstendenz in die bewussten Strukturen des Ich`s hinein?!

Dieser Punkt offenbart auch einen großen Unterschied zwischen der Realität und unserer Wahrnehmung der Realität:

 

Abb.79: wir "ordnen" die Wirklichkeit in Erinnerung und Wahrnehmung wie gleichförmige, symmetrische Planquadrate

Abb.80: Ausdehnung und Verhalten "realer" Situationen und Ereignisse sind weitaus komplexer und können innerhalb unserer geistigen Wahrnehmung oft nur in stark vereinfachter Form abgebildet werden.

 

Skalierung (bzw. Paritionierung infolge vorangegangener Skalierung) kann für eine Sonderform der Informationsverarbeitung stehen!

 

Sie bietet die Möglichkeit, eine Information, die im Grunde eine „Einheit“ darstellt, mit sich selbst in Beziehung zu setzen!

 

 

Abb.81: Ein Objekt nehmen wir vornehmlich aufgrund seiner Form (Begrenzung) als eigenständiges Element war, sekundär ggf. infolge seiner Lokalisation

 

Abb.82: Durch Skalierung und Partitionierung kann ich z.B. den oberen und unteren Teil eines Turms als „getrennte" Einheiten betrachten und miteinander in Beziehung setzen. Ich könnte z.B. sagen: "Der untere Teil hat ein Tor, der obere Teil hingegen Zinnen."

Skalierung erlaubt fernerhin, zwei gleichzeitig ablaufende Prozesse aufgrund selektiver Gewichtung repräsentativer Sequenzen in ein Vorher- und Nachher einzuteilen!

 

 

Abb.83:

Ich kann zwei im Grunde gleich lang dauernde Ereignisse (hier in Abb.83: links eine Autofahrt vom Start zum Ziel, rechts: Waldarbeit vom Bäume fällen bis zum Stapeln der Baumstämme) aufgrund selektiver Auswahl eines möglichen "Repräsentanten" für das jeweilige Ereignis (lilafarbene Punkte) künstlich in eine "Vorher-Nachher-Beziehung" einordnen.

 

KAPITELÜBERSICHT

 

 

 

Kapitel VI

 ERLEBENSPROZESS ALLGEMEIN

 

 

 

 EBENEN DES BEWUSSTSEINS:

Man spricht vom Bewusstsein stets im Singular. Tatsächlich aber hat es mehrere, ineinander verwobene Formen:

KOGNITIVES BEWUSSTSEIN

Es besteht aus drei Stufen:

In seiner primären Form ermöglicht es die bewusste Repräsentation des Körpers und der Umwelt.

Die zweite Stufe (introspektives oder reflektierendes Bewusstsein) erzeugt die Fähigkeit, im Geiste den eigenen Gedankenstrom zu verfolgen und Gedanken zweiter Ordnung über die eigenen mentalen Zustände zu fassen.

Die dritte Stufe bezeichnet das Ich- oder Selbstbewusstsein, also die Fähigkeit, sich selbst als Subjekt eigener Gedanken wahrzunehmen und die eigene Existenz als Individuum zu begreifen.

 

PHÄNOMENALES BEWUSSTSEIN

Diese Form des Bewusstseins betrifft die subjektiven und qualitativen Aspekte der bewussten Erfahrung.

 

Übergänge

Der reale und geistige (Er-)lebensprozess ist u.a. durch eine Reihe latenter "Übergänge" geprägt, die wir zumeist schon angesprochen haben:

Der Wesentlichste dieser Art ist der Übergang von Materie zu Geist (also von organischer Aktivität in geistiges Erleben) bzw. von Realität in Information, von tatsächlich vorhandenen Inhalten der Umwelt in geistige Repräsentationen (Bilder, Vorstellungen, Konzepte).

Ferner gibt es einen Übergang von unbewusster zu bewusster Information ("Wahrnehmungsschwelle").

Weiterhin einen Übergang von rein "sachlichen" in "moralische" Informationen, also Informationen, die uns aus emotionalen oder motivierenden Gründen subjektiv betreffenden ("Relevanzschwelle": siehe Ausführungen zu "moralischen Perspektiven" in Kapitel III innerhalb der aktuellen Seite).

Verschiedene, hierarchisch gestaffelte Systeme arbeiten sowohl latent für sich als auch im Austausch mit über-/untergeordneten Systemen. Eine Information kann mitunter verschiedene Kanäle gleichzeitig durchlaufen.

 

 

DIE DYNAMIK DES ERLEBENS:

 

Nachfolgend versuche ich, wenige profane aber grundlegende Begriffe zu definieren, die sich für eine allgemeine Beschreibung von Erlebens- und Wahrnehmungsprozessen eignen. Sie lauten: INHALT, THEMA, EBENE, PERSPEKTIVE und FOKUS.

 

INHALT:

Alles was wir wahrnehmen oder erleben, wird als Information in unserem Aktualbewusstein bzw. Arbeitsgedächtnis dargestellt. Inhalte sind zunächst einmal alle "gewöhnlichen", "unkomplizierten" und "analogen" Informationen. Grundsätzliche Kategorien von Inhalten (also Informationen bzw. Repräsentationen) sind:

Objekte, Situationen und Ereignisse.

 

Objekte sind überwiegend  "Gegenstände" aller Art (real, abstrakt oder symbolisch). Sie definieren sich u.a. durch ihre Form (Begrenzung), Funktion und Lokalisation (Ort).

 

Eine Situation bezeichnet, wie in KAP IV ausführlich behandelt, die gleichzeitige Koexistenz mehrer Objekte bzw. deren Beziehung(en) zueinander. 

Ein Ereignis hingegen bezeichnet den Veränderungsprozess u.a. einer Situation .

 

 

THEMA:

Ein Inhalt ist etwas, das wir wahrnehmen (Objekte, Situationen, Ereignisse), dass ergo unsere Wahrnehmungsschwelle überschreitet. Ein Thema ist, analog zu einem "Problem" (im weitesten Sinn) etwas, mit dem wir uns aufgrund willentlicher Absicht oder aufgrund der Umstände des Erlebens bewusst oder jedenfalls vordergründig (gedanklich) auseinandersetzen ("Relevanzschwelle"). Ein Thema ist also ein fokussierter Wahrnehmungsinhalt, der entweder Ausgangspunkt oder Gegenstand unserer kognitiven Prozesse ist.

Ein Thema hat also immer etwas mit unseren (Über)lebensvorteilen oder unserem Lustgewinn und somit zwangsläufig mit unserer Intention (vgl KAP III ) zu tun.

 

Arten von Themen sind:

I Informationen, die uns schlichtweg interessieren, die uns emotional ansprechen und/oder unsere Motivation beeinflussen.

 

II Probleme

Probleme wiederum unterteilen sich in zwei Kategorien:

A) unerfreuliche Informationen: Dinge die uns belasten, verunsichern, in Entscheidungssituationen führen, konkret oder abstrakt mit unserem Über-/lebensvorteil oder Lustgewinn zu tun haben...

B) unlogische Informationen: sie sind unvollständig, widersprüchlich und/oder mehrdeutig 

 

 

DER ÄUSSERE KONDENSATIONSPUNKT

  ist etwas, das unser subjektives (primär durch Körperempfindungen generiertes) Existenzempfinden vervollständigt. Damit meine ich irgendeinen X-beliebigen Inhalt im Bereich der zumeist äußeren Wahrnehmung, der (zufällig) deutlicher und konkreter als anderweitige Inhalte erlebt wird. Betrete ich etwa einen Raum, muss sich mein Sehstrahl zwangsläufig auf irgendetwas richten, analog zu einem zufälligen Steinwurf, der irgendwas treffen muss (und sei es nur ein Punkt X auf dem Fußboden). Kondensationspunkt deshalb, weil uns die (reflexive, unbewusste) Erkenntnis einer erhöhten Wahrnehmung oder Aufmerksamkeit auf irgendeinen Inhalt indirekt Rückschluss auf unsere eigene ICH-Präsenz bzw. Bewusstseinsaktivität liefert. Wenn ich z.B. einen Apfel zufallsbedingt im Fokus meines Gesichtsfeldes habe (der visuelle Kanal ist für uns Menschen der dominante Sinneskanal), so lautet die rein vegetative, rückkoppelnde Botschaft an das Unterbewusstsein:" ICH bin derjenige, der diesen Apfel gerade wahrnimmt" oder "ICH bin derjenige, der diesen Apfel deutlicher wahrnimmt als irgendwas anderes".  Analog hierzu: Das Vorhandensein von Wasserdampf in einem geschlossenen Raum ist unterhalb einer gewissen Quantität nicht erkennbar. An den Fensterscheiben aber kondensiert der Dampf und hinterlässt deutlich sichtbare Wassertröpfchen, ist also indirekt erkennbar.

 

EBENE:

 Ebenen bezeichnen mögliche (abstrakte) Bezugssysteme oder Bezugsräume von Inhalten. Betrachten wir den Begriff Mensch: Ein Mensch steht u.a. im Kontext zu einer biologischen, sozialen und ökonomischen Bezugsebene. Als Mensch bin ich ein biologisches Lebewesen. Meine phänotypischen Merkmale unterscheiden sich von jenen anderer Lebensformen, meine Organ- und Zellfunktionen hingegen sind weitgehend mit jenen aller anderen Lebensformen (insbesondere der Säuge- und Wirbeltiere) identisch oder ähnlich. Ferner bin ich ein soziales Lebewesen. Ich habe eine Familie, Verwandte, Arbeits- und Vereinskollegen. Auch bin ich Teil einer Volkswirtschaft (ökonomische Bezugsebene). Ich übe eine bezahlte Tätigkeit aus, ich spare, kaufe Konsumgüter, etc. 

 

PERSPEKTIVE:

Eine Perspektive steht grundsätzlich für die "Ausrichtung" oder das "Gerichtet - Sein" von Wahrnehmungsfunktionen und kognitiven Prozessen. Den Begriff könnte man ferner aber auch auf den mentalen Zustand (insb. bewusste und unbewusste Intentionen, auch Einstellungen und Vorurteile) eines Beobachters, eines wahrnehmenden Subjektes, ausdehnen. Ein Naturschützer nimmt einen 700 Jahre alten Eichenbaum unter "anderen Gesichtspunkten" wahr wie ein Möbelfabrikant.

 

FOKUS:

Der Fokus bezeichnet das Wahrnehmungsfeld eines Beobachters. Ich kann mich z.B. visuell auf meinen Daumennagel konzentrieren (enger Fokus) oder von einem Berggipfel aus zum Horizont und die im Tal befindlichen Orte schauen (weiter Fokus).

  

  ZUSTANDSFORMEN  DES  "ICH" 

Betrachten wir nachfolgend an einer Beispielszene die Dynamik und die Besonderheiten menschlicher Erlebensprozesse.

Man könnte feststellen, dass sich bei mentalen Erlebensprozessen mehrere Subfunktionen die Klinke in die Hand geben! Da gibt es ein ICH und ein ES, einen (wahrnehmenden) BEOBACHTER und einen (entscheidenden und handelnden)  AKTEUR.

 

Hierzu ein paar profane Definitionen:

 

ICH: Willentliches und sehr bewusstes Wahrnehmen, Denken, Entscheiden und Bewerten.

 

ES: reflexives, "passives", nicht zielgerichtetes oder anlassbezogenes Wahrnehmen und Denken; subtiles, "reaktionäres"  Entscheiden und Bewerten ohne Vorsatz und Willensanstrengung, zumeist bei geringem Bewusstheitsgrad.

 

BEOBACHTER: Wahrnehmen und Reflektieren

 

AKTEUR: Planen, Entscheiden und Bewerten

 

Jede dieser Subfunktionen ist für sich und aus sich heraus dazu befähigt, den Wahrnehmungs-Fokus zu erweitern oder zu verengen sowie ein Thema oder eine Ebene zu wählen oder zu wechseln!

 

Meine Motive und Absichten können sehr vordergründig und präzise sein. Wenn nicht, habe ich aber zumindest ein "Thema", d.h. einen Wahrnehmungsinhalt, mit dem ich mich aufgrund irgendwelcher (zufälliger) Ursachen mental auseinandersetze oder den ich zumindest in erhöhter Deutlichkeit wahrnehme ("äußerer Kondensationspunkt").

 

 ICH UND  ES, BEOBACHTER UND AKTEUR IM WECHSELSPIEL:

Mein FOKUS (Wahrnehmungsfeld) verengt und erweitert sich unablässig und abwechselnd. Ständig nehme ich Inhalte wahr. Ständig werden Inhalte zu Themen und Themen zu Inhalten. Ebenso unablässig erfolgt die Auswahl und der Wechsel von Inhalten, Themen und Ebenen. Phasen in denen ich sehr (selbst)- bewusst präsent bin und willentlich plane und entscheide, wechseln sich mit solchen, in denen mein Geist mehr oder weniger "ziellos" umherschweift und sich relativ wahllos und reaktionär auf alle möglichen Inhalte und Themen stürzt.

 

Ein Beispiel: Ich gehe durch die Stadt um einen Einkaufsbummel auszuführen. Ich nehme viele Inhalte in einem weiten Fokus wahr (Passanten, Autos, Häuser, etc.). Nun sehe ich einen alten Schulfreund - dieser Inhalt weckt mein Interesse und wird zu einem Thema, mein Fokus bzw. Wahrnehmungsfeld verengt sich deshalb auf seine Person. Ich nähere mich ihm und beginne ein Gespräch - mein Fokus erweitert sich und es bilden sich eine Reihe weiterer, seine Person betreffende Themen (Familienstand, Beruf, Wohnort, etc.). Eines dieser Themen interessiert mich vordergründig - der Fokus verengt sich auf dieses Thema und ich frage nach seinem Familienstand. Er bestätigt verheiratet zu sein - mein Fokus erweitert sich themenspezifisch und ich will nun wissen, wen er geheiratet hat, wo er seine Frau kennen lernte, etc. Im weiteren Verlauf kommen wir auf sein Auto (Thema) zu sprechen - ein Porsche 911 Carrera. ES interessiert mich (passiv, aus reflexiver Neugierde) wie viel PS das Auto hat (Ebene). Ich staune über seine Antwort und ICH will nun wissen (aktiv, aus vordergründigem Interesse) wie viel es gekostet hat, wechsle also die Ebene (von der technischen zur ökonomischen). Anschließend unterhalten wir uns über anderweitige Dinge. Manche meiner Fragen ergeben sich also infolge eines gezielten, bewussten Interesses. Sollte ich hinterher bewusst über die Situation reflektieren, werde ich sagen, ICH hätte dieses und jenes von ihm aktiv erfahren wollen. Ergibt sich die Entscheidung für ein Thema hingegen sehr spontan und ohne vorheriges Abwägen, werde ich hinterher eher sagen, ES hat mich interessiert mich in dieser oder jener Richtung zu erkundigen (das Interesse "kam" also "passiv" über mich, so wie ein Bedürfnis zu Gähnen oder sich zu Räuspern auftreten kann).

Ebenso polarisiert sich mein Verhalten zwischen Sequenzen, die man eher einem passiven Beobachter zuschreiben könnte, der Informationen jenseits konkreter Motive oder Handlungsabsichten sammelt und Sequenzen, in denen ein bewusst und planerisch handelnder Akteur vordergründig aktiv ist. Ein Beispiel: Ich sitze Sonntag Nachmittag auf einer Bank im Zoo vor dem Affengehege und lasse die Gedanken entspannt schweifen. Im Laufe der Zeit werden mir in zunehmender Deutlichkeit irgendwelche, die Situation betreffende Fakten bewusst: Ich erkenne das mindestens 7 statt der anfangs 4 wahrgenommenen Affen im Gehege sind. Mir fällt auf dass ein Tier hinkt. Ich bemerke, dass einem Schimpansen ein Stück Fell fehlt. Irgendwann gelange ich zu der Feststellung, dass in Anbetracht  der guten Wetterlage eigentlich nur wenige Besucher hier sind. Wenige Augeblicke später fällt mir spontan dazu ein, dass gerade Sommerferien sind und viele Leute wohl in Urlaub gefahren sind. All diese Dinge haben mich eigentlich nicht gezielt interessiert. Der innere Beobachter hat sie nach und nach eruiert. Der Akteur hingegen lässt mich irgendwann abwägen, ob ich zum Delfinarium oder ins Reptilienhaus weitergehen soll. Er gibt mir vielleicht den willentlichen Handlungsimpuls, unter den Affen im Gehege bewusst das mutmaßlich größte und schwerste Tier zu finden oder er lässt mich autoreflexiv darüber wundern, wie und warum der (eigene innere) Beobachter ausgerechnet auf diesen oder jenen Wahrnehmungsinhalt aufmerksam wurde ("Warum interessieren mich die Affen überhaupt?").

 

 ICH, ES, Beobachter und Akteur  verhalten sich im Grunde entgegengesetzt: Wenn das ICH den Fokus erweitert, wird das ES ihn im nächsten Reaktionsschritt verengen und umgekehrt. Erweitert der Beobachter den Fokus, wird der Akteur ihn verengen und umgekehrt. Entscheidet sich das ICH für ein Thema, wählt das ES eine Ebene und umgekehrt. Ebenso wird der Akteur eine Ebene wählen, wenn sich der Beobachter vorher für eine Thema entschieden hat und umgekehrt. Generiert das ES Handlungsoptionen, vollbringt das ICH eine Entscheidung und umgekehrt. Reflektiert das ICH während einer Erlebenssequenz (Wahrnehmung der unmittelbaren Vergangenheit), projiziert das ES eine Vorstellung über die unmittelbare Zukunft und umgekehrt.

 

Das Driften zwischen Themen und Ebenen, die Erweiterung und Verengung des Wahrnehmungs-Fokus sowie die abwechselnde Dominanz von "ES"- oder "ICH"-Aktivität bzw. die vorherrschende Akitvität von Beobachter und Akteur erfolgen oszillierend, d.h. das System pendelt gesetzmäßig zwischen diesen Funktionsmustern. 

  

KAPITELÜBERSICHT

 

 

Kapitel VII

DER ERLEBENSPROZESS ALS EINE SICH SELBST ERZÄHLENDE GESCHICHTE

 

 

DAS SELBST- UND WIRKLICHKEITSERLEBEN IM WECHSELSPIEL VON  PERSPEKTIVEN

 

Ich lade den Leser neuerlich zu einem Gedankenexperiment ein:

 "Das total überwachte Haus"

Stellen wir uns Folgendes vor: Ein Haus steht auf einem umzäunten Grundstück. An den Eckpunkten des Grundstückes sind stationäre Überwachungskameras montiert, die in Blickrichtung zum Haus ausgerichtet sind. Im Haus wiederum befinden sich zahlreiche fest montierte Kameras in jedem Zimmer. Zusätzlich befindet sich ein ferngesteuerter Roboterhund mit Kameraaugen im Haus, der Treppen steigen, die Gänge abschreiten, die Zimmer betreten und notfalls sogar das Haus verlassen und sich im Außenbereich des Grundstücks aufhalten kann.

 

Abb.84: Im Haus sind zahlreiche Innen- und Außenkameras installiert und ein mobiler Roboter-Hund vorhanden.

 

Wir sitzen in einem Kontrollraum vor zahlreichen Bildschirmen, die uns Kamerabilder von Objekten, Personen und Ereignissen im Haus liefern. Wir können auch den Roboterhund steuern.

Betrachten wir für die nachfolgenden Überlegungen ein paar grundlegende Begriffe:

Realität beschreibt Objekte, Situationen und Ereignisse in der realen, physikalischen Welt, die unabhängig von unserer Wahrnehmung vorhanden sind. Die Realität hängt von "Energie" ab (Materie ist zudem äquivalent zu Energie).

Keine Realität ohne Energie!

Information beschreibt das Wissen oder die Erkenntnis eines wahrnehmenden, kognitiven (und ggf. selbst - bewussten) Systems über die Wirklichkeit. Informationen sind "Repräsentationen", "Abbildungen" der Realität, die sowohl „unmittelbar“ über die Sinnesorgane in unseren Wahrnehmungsbereich und unser Bewusstsein gelangen, als auch abstrakt auf kognitivem Weg gebildet werden. Informationen sind von einen "Begriff" oder einem "Konzept" abhängig!

Keine Information ohne einen Begriff oder ein "Konzept"!

 

Ein weiterer Begriff ist jener der Funktion. Er steht für die Umwandlung oder das Verfübgar-Machen von Realität in Information. Von besonderer Bedeutung sind die Wahrnehmungs-Funktionen. 

Auch die "Perspektive" ist letztlich eine Funktion und zwar ein sehr hochpotente. Sie beschreibt die gleichzeitige Ausrichtung oder das "Gerichtet sein" von mehreren verschiedenen Wahrnehmungsfunktionen auf einen fokussierten Wahrnehmungsinhalt. Perspektiven stehen auch mit "Prädestination", mit "Erwartung" und "Vorurteil" in Verbindung. 

 

Keine Wahrnehmung ohne Funktionen und ohne (mindestens eine) Perspektive!

 

Funktionen sind also ein Mittler zwischen Realität und Information. Sie sind der materielle Anteil von Geist und Psyche, sie beziehen sich nicht auf die Informationen an sich, sondern auf die "Hardware", auf die lokalen und regionalen Nervenbahnen, auf feste und flexible Verbindungen zwischen verschiedenen Hirnarealen, lokalen Gedächtnisspeichern und/oder Assoziationszentren. 

Keine Funktionen ohne neuronale Aktivität!

 

Funktionen sind der physikalische Faktor der Informationserzeugung: Wenn ich z.B.  den Kopf nach links oder rechts drehe und somit die Ausrichtung meines Gesichtsfeldes ändere, nehme ich jeweils andere visuelle Inhalte wahr. Oder denken wir an die Unmittelbarkeit von Schmerzempfindungen, etwa durch Hitze, durch kinetische oder mechanische Einflüsse (wenn wir uns bspw. den Finger einklemmen)! Das Schmerzerleben ist ebenfalls Sache des Hirns, nicht des eingeklemmten Fingers. Aber Schmerz ist nichts Abstraktes, ist kein geistiges, auf Vorstellung und Kognition basierendes Konzept, sondern eine außerordentlich analoge, fast nur auf Funktion basierende Information, die sich sehr unmittelbar auf die Realität bezieht.

 

Es hängt also davon ab, wie viele und unterschiedliche Areale oder Strukturen zwischen "Ursprung" und dem "Ergebnis" einer Information zwischengeschaltet sind und wie stark sich die Information infolge der Wechselwirkung der beteiligten Strukturen verändern kann, also gewissermaßen vom Beginn weg "determiniert" ist (der Ausgangsreiz kann viele Abzweigungen durchschreiten und mancherlei Veränderung erfahren). Beim Schmerzerleben sind wie angesprochen eher wenige und "einfache" Strukturen beteiligt. Die Nervenleitung zwischen Finger und Ellbogen ist wahrscheinlich nicht wesentlich anders als z.B. jene zwischen Lenden- und Nackenwirbelsäule.

Unter Funktionen fallen aber auch präorganisierte Kognitionsleistungen. Am Beispiel der menschlichen Sprache und der Art und Geschwindigkeit, wie Kleinkinder die Grammatik und Syntax ihrer Muttersprache verinnerlichen, wird dies deutlich. Neurowissenschaftler sind sich darin einig, dass es eine Art "Sprachmaschine" geben muss, die es Kleinkindern gestattet, relativ unabhängig vom Faktor Intelligenz ihre Muttersprache (Grammatik und Syntax) "aufzusaugen".

Betrachten wir etwa verschiedene Verben und die von ihnen automatisch angebahnten kognitiven Pfade! Höre ich in einem Satz etwas von "geben", weiß ich automatisch, dass mindestens drei Begriffe zu einer sinnvollen Aussage gehören! Jemanden der etwas gibt, jemanden der etwas bekommt und ein Objekt, dass den Besitzer wechselt. Die Verben "Essen" und "Schlafen" verlangen vorrangig nur nach einem Subjekt (Wer?), sofern man die näheren Umstände (wann?, wo?) außer Acht lässt. Das Verb "Schlagen" verlangt sowohl nach einem Täter (Wer?) und einem Opfer (Wen?). Nicht "Ich" sondern mein "Sprachzentrum" weiß, dass etwas fehlt. Es kennt zwar nicht die genauen Objekte, jedoch sehr wohl deren grundsätzliche Natur und ihre grundsätzlichen Beziehungen zum Satz-Subjekt oder zur Satzaussage!

Aber auch manchen an sich zusammenhanglosen Wortassoziationen wohnen "kognitive Pfade" inne. Die Begriffe "Hammer", "Nagel" und "Bild" verleiten uns fast zwangsläufig dazu, an eine (so gar nicht erzählte) Geschichte zu denken, nämlich an ein Bild, das an einem in die Wand geschlagenen Nagel befestigt wird. In diesem Fall startet keine innere "Such- Funktion" wie am Beispiel der Verben, sondern es erfolgt eher umgekehrt, eine "nicht angeforderte Lieferung". Es wird ein Muster (d.h. hier die Vorstellung von einer Handlung) vorbewusst und automatisch vervollständigt!

 

In der Hierarchie des Hirns gibt es zum einen physikalisch festgelegte Strukturen unterschiedlicher Komplexität! Der sensomotorische Cortex (für das "Körper-Schema" zuständig) ist sicherlich um einiges einfacher aufgebaut als z.B. das für Sprachproduktion/-erkennung zuständige Broca- oder Wernicke- Areal. Der präfrontale Cortex wiederum ist um einiges komplexer als die vorgenannten Strukturen! Es gibt eine ganze Reihe an „festen Strukturen“, etwa die Verbindungswege und Instanzen, die der visuelle Input von den Sinneszellen der Augen über diverse Nervenbahnen, über den visuellen Cortex bis hin in die assoziativen Bereiche des präfrontalen Cortex durchläuft. Darüber hinaus gibt es aber auch eine "flexible Ordnung", eine sich funktional und dynamisch bildende Hierarchie in Form "funktionaler Cluster". Ein funktionalen Cluster ist ein neuronaler Zellverband, dessen beteiligte Neuronen untereinander stärker (rückkoppelnd) wechselwirken als "nach außen" bzw. mit anderen Zellen oder Zellverbänden. Durch Clusterbildung können sich innerhalb einer physikalisch homogenen Struktur (wenn wir ein bestimmtes Hirnareal betrachten) spontan ein oder mehrere lokale Bereiche höherer Komplexität bilden und von der "normalen" Umgebung abgrenzen. Sie können sich dann in wechselseitige hierarchische Positionen zueinander begeben und sich ebenso wieder auflösen.

Betrachten wir dazu nachfolgende Bilder: Das Gewebe in den Würfeln ist absolut homogen. Ein Chirurg könnte keine voneinander abweichenden Strukturen unterscheiden. Die beispielhaft dargestellten Cluster (grüne und orange Struktur) sind spontan entstanden. Sie zeichnen sich durch ihre lokale (aber dynamische, veränderliche) Abgrenzung gegenüber dem restlichen Gewebe aus. Sie können sich auch wieder auflösen. In den Bildbeispielen "umkreisen" sie den Mittelpunkt des Raumes. Innerhalb der Cluster besteht eine höhere Verbindungsstärke zwischen den beteiligten Neuronen als gegenüber den "nicht beteiligten" Zonen.

 

 

 

Abb. 85: Innerhalb der Cluster haben die Neuronen eine stärkere Verbindung untereinander.

 

 

 

 

Abb. 86: Die Cluster sind dynamisch, veränderlich. Sie "wandern", indem sie vormals involvierte Neurone von der Beteiligung ausschließen, andere hingegen neu integrieren.

 

 

 Wenn eine Information auf sehr komplexe Weise bzw. auf sehr komplexen Wegen gebildet wird, entspricht sie viel mehr einer Abstraktion, einer indirekten, ihrerseits auf (anderweitigen) Informationen beruhenden Information, da ein höheres Maß an physikalischer Funktion (Ausbildung und Zusammenschalten von Clustern und Arealen) an ihrer Bildung beteiligt und ihr inhaltlicher Gegenstand ferner die Summe aus Beiträgen verschiedener Instanzen ist!

Auf Ebene der Neuronen und des Zusammenwirkens von Assoziationszentren und Clustern gibt es also einen "physikalischen Faktor" (Generieren, Weiterleiten, Verbinden, Auslesen von Informationen), den man dem "virtuellen Anteil" (dem Gegenstand der Repräsentationen) gegenüberstellen könnte! Wenn ich mir eine Blume bildlich vorstelle, werden deren Eigenschaften durch Verknüpfung von Nervenzellen repräsentiert. Sie hat ein "neuronales" Korrelat. Allerdings: Auch der Prozess des Vorstellens an sich hat, wie alle kognitiven Aktivitäten, ein neuronales Korrelat, beruht auf sich dynamisch verändernden Verbindungen zwischen Neuronen oder ganzen Hirnbereichen. Und dieser Vorgang könnte aus einer alternativen, internen Perspektive heraus wiederum als eine Art Information registriert werden. Man könnte annehmen, dass alle neuronalen Vorgänge innerhalb bewusstseins- und gedächtnisrelevanter Hirnbereiche sowohl mit der Generierung als auch mit dem Verarbeiten oder "Auslesen" von Informationen (ggf. gleichzeitig) befasst sein können. Allerdings kann eine bestimmte Information nicht an derselben Stelle ausgelesen werden, an der sie erzeugt wird! Zwischen dem Gegenstand der Betrachtung und dem Vorgang des Betrachtens muss eine räumlich-funktionale Trennung liegen!

 

Noch einmal zurück zum Bild des "total überwachten Hauses"

 

Was sich im Blickwinkel der Kameras befindet, ist Realität, was auf den Bildschirmen im Überwachungsraum ankommt, ist Information (in diesem einfachen Beispiel darf eine hohe inhaltliche Übereinstimmung angenommen werden). Die vielen Kameras (deren Ausrichtung) entspricht den Perspektiven.

Die technischen Parameter der Kameras korrelieren hier mit dem Begriff der Funktion. Die räumliche Ausrichtung, ein etwaiger Schwenkradius, eine Zoomfunktion, ein Infrarot-Modus für Aufnahmen bei völliger Dunkelheit, die Veränderlichkeit der Lokalisation (hier: die "mobile" Kamera im Roboterhund),... Diese Faktoren sind Wahrnehmungsfunktionen. Ein auf die Linse einer Kamera geklebter Kaugummi oder ein zwecks Täuschung vor die Linse gehängtes Bild (z.B. eine Postkarte mit Bergpanorama) wäre allerdings ebenfalls eine Funktion (weil dieser Täuschungs- oder Störfaktor maßgeblich bestimmt, was wir auf dem Bildschirm sehen bzw. welche "Information" uns erreicht)!

Wie an anderer Stelle bereits dargestellt, existieren mögliche Umwandlungsvorgänge zwischen Informationen, Perspektiven und Funktionen!

Stellen wir uns vor, wir sehen in einem Zimmer ein nicht eindeutig erkennbares (weil z.B. zu kleines) Objekt. Oder wir sehen jemanden aus dem Zimmer huschen, den wir aufgrund seiner Bewegungsgeschwindigkeit oder des ungünstigen Blickwinkels der lokalen Kamera nicht erkennen können. Im ersten Fall könnten wir versuchen, das Objekt zu zoomen, im zweiten Fall müssten wir auf eine andere Kamera im Nebenzimmer umschalten. Es wären also zusätzliche Perspektiven und/oder Funktionen nötig, um die „vollständige“ Information zu erhalten!

Oder stellen wir uns vor, im Schlafzimmer befände sich ein Liebespaar, dass zur Wahrung seiner Intimsphäre einen Kaugummi vor die Linse klebt. Die (Stör-)funktion der Kamera wird zur "Information" über die Vorgänge im Zimmer. Wenn mir (als Beobachter) der Vorgang der Manipulation nicht bekannt ist, "sehe ich schwarz" und muss davon ausgehen, was sich wahrnehme, wäre die tatsächliche Information (hier ein stockdunkles Zimmer). Die Funktion wird also zur Information.

Ein anderer Sachverhalt: wir sehen eine Person, wissen aber nicht mit Sicherheit, in welchem Zimmer sie sich befindet (weil es z.B. zwei identisch eingerichtete Schlafzimmer gibt). Wir könnten den Roboterhund auf Suchpatrouille schicken. Wenn uns seine mobile Kamera sowohl die Person, die uns näher interessiert, als auch die Kamera zeigt, aus der die erste Information stammt, wissen wir, woher die ursprüngliche Aufnahme stammt (aus welcher Kamera bzw. aus welchem Raum). Die (anfängliche) Perspektive wird hier also auch zur Information.

 

Das Produkt des geistigen Erlebensprozesses resultiert aus der Summe der aktiven Funktionen (= Qualität der Umwandlungsprozesse von "Realität" in Information), der Perspektiven (Ausrichtung von Wahrnehmungsfunktionen) und den Repräsentationen bzw. Informationen an sich! Die Begriffe sind mitunter umwandelbar, wie am Vergleich der Begriffe "Information" und "Perspektive" bereits erläutert wurde. Bisweilen sind sie - je nach Art und Größenordnung des betrachteten Prozesses- auch nicht eindeutig voneinander trennbar.

 

DER ERLEBENS-PROZESS IST EINE "SICH SELBST ERZÄHLENDE GESCHICHTE"!

Wir wissen, was eine Situation (Anordnung von bzw. Beziehung zwischen Objekten) und ein Ereignis (Veränderung von bzw. Interaktion zwischen Objekten) ist. Eine Geschichte unterscheidet sich gegenüber einem Ereignis in der nicht vorhandenen Gleichberechtigung der beteiligten Objekte! In einer Geschichte wird eine einzelne Person oder ein einzelnes Objekt zum "Hauptthema"!

 

Während sich ein "Ereignis" gewissermaßen in Folge-Ereignisse und -situationen "zergliedert" oder auffächert, beschreibt eine Geschichte den Fortgang der Entwicklung einer Person, eines Objekts oder einer "Sache" über mehrere Ereignisketten hinweg! Wenn ich auf einem Ameisenhaufen die unzähligen umher laufenden Tiere beobachte, entspricht das, was ich sehe, einem Ereignis: viele einzelne Objekte verändern (gleichzeitig) ihre jeweilige Position zueinander. Wenn ich aber eine einzelne Ameise mit einem farbigen Punkt markiere und ihre Fortbewegung beobachte, handelt es sich um eine Geschichte, nämlich um die Geschichte eines einzelnen Tieres in Gegenüberstellung zum restlichen Gesamtereignis!

Die nächst größere und im Grunde auch „höchste“ Kategorie an Information (oberhalb von „Geschichte“) wäre das Narrativ, also eine sinngebende Geschichte bzw. eine subjektive Sinndeutung, mit der sich das Subjekt sich selbst, seine Wahrnehmungen, letztlich die ganze Welt „erklärt“.

Wann und warum selektiert das Hirn ein Detail aus dem Gesamtkontext um es als gesonderte, vorrangige Einheit zu behandeln?

In der Natur, in der Welt der (physikalischen) Realität gibt es (neben Objekten) ausschließlich Situationen und Ereignisse! Geschichten und Narrative gibt es nur für (selbst-)bewusste Beobachter!

Im Erlebensprozess ist das "Hier und Jetzt" das Hauptthema und das "ICH" die Hauptperson! Das "Hier und Jetzt" ist ein Ausdruck höchster Aktualität. Das ICH ist das höchstpotente Ergebnis eines latenten Prozesses der Subjektivierung!

 

Die "Geschichte" des Lebens erscheint uns immer "stimmig" (außer wir leiden an Schizophrenie)! Damit eine Geschichte "stimmig" ist, muss sie entweder logische Informationen enthalten (dann ist sie in Bezug auf den Inhalt des Erlebten "logisch", also nicht widersprüchlich, unvollständig oder vieldeutig) oder eine latente Generierung / einen latenten Übergang an Wahrnehmungsperspektiven und -funktionen erzeugen, innerhalb derer das Selbst im Kontext zu seinen "Problemen" relativ analog oder zumindest "unkompliziert" dargestellt (repräsentiert) werden kann. Dann ist der Erlebensprozess insgesamt "logisch". Soll heißen: es gibt eine "semantische" Logik (was ich wahrnehme) und eine "funktionale" Logik (wie ich wahrnehme).

 

Im Gegensatz zur Modellvorstellung des "total überwachten Hauses" sind wir im tatsächlichen Erlebensprozess keine "externen Beobachter" die sich in einem geheimen Kontrollraum befinden! Wir sind unsrerseits das Produkt einer "internen Sensorik" des Hirns! Und die "Räume" (des Hauses) sind im Hirn mitnichten strikt getrennt, sie werden vielmehr durch einen immerwährenden "Skalierungs- und Partitionierungsprozess" gebildet, die "Wände" können sehr flexibel hochgezogen und auch in ihrer Position verändert werden!

Wir haben das Ausbilden von Perspektiven als eine Methode der Informationsgenerierung erwähnt, derer sich das "System", das Hirn an sich, bedient! Als bewusster Beobachter, als Selbst, bediene ich mich hingegen (u.a.) der Methodik des Denkens, um mit einer bestimmten Art von Informationen, nämlich "unlogischen" oder "unerfreulichen" (dem Überlebensvorteil oder Lustgewinn widersprechenden Informationen) umzugehen.

 

Agenten bzw. Algorithmen

 Im Hirn werden Informationen nicht nur analog wie in den Leitungen zwischen den Tauch-, Trimm- und Regelzellen eines U-Boots, je nach "Druckunterschieden oder -verhältnissen",  hin- und her gepumpt. Es gibt "autonome Programme", eben Algorithmen, die aktiv nach einfachen oder komplexeren Mustern und Kontexten "suchen". Sie reiten gewissermaßen auf den internen Funktionen und Perspektiven, vereinnahmen sie mitunter. Denken wir wieder an das überwachte Haus: Wenn ich einer sich bewegenden Person folgen will, schalte ich gezielt immer auf die dafür erforderlichen Kameras weiter. Diese Algorithmen können nach sehr speziellen Mustern suchen oder eine sehr allgemeine Meta-Funktion (etwa das Angleichen oder Abstrahieren von bzw. zwischen Informationen) aufweisen.

  

Wenn Perspektiven oder Algorithmen aufeinandertreffen, sich sozusagen in die Quere kommen, kann zweierlei passieren: Entweder wird eine der Perspektiven zur Information für die andere (erinnern wir uns an den "Roboterhund", der auf eine der fest installierten Kameras aufmerksam wird). Oder sie wechselwirken funktional je nach den gegebenen Bedingungen in konkurrierender oder sich verstärkender Weise. Bei funktionaler Verstärkung wird der Wahrnehmungsraum "höher" (grobrastriger), bei funktionaler Konkurrenz "niedriger" (kleinrastriger) skaliert.

 

WIE LÖST DAS HIRN DAS HIERARCHIE- PROBLEM

Die Bedeutung einer Information kann sich auf verschiedene Weise ergeben:

* Aus der Art des zugrunde liegenden realen Objekts (im Falle einer direkten Sinneswahrnehmung) bzw. der Art der zugrunde liegenden Informationen (im Falle einer Abstraktion, der Bildung eines Konzeptes)

* Aus Menge, Art und Wechselwirkung der beteiligten Funktionen

* Aus Menge, Art und Wechselwirkung der jeweiligen Perspektiven

 

Im Gehirn zirkulieren ständig Informationen in Schleifen. Die Verbindungen reichen von einfachen zu komplexen Strukturen (sowohl innerhalb real-physikalischer Instanzen als auch in bzw. zwischen temporären, dynamischen Clustern) und wieder zurück. Aber es gibt kein "totales Zentrum", keine "ultimative" Instanz! Es gibt vielmehr lokale Flüsse (analog für einfaches Weiterleiten) und Seen (analog für parallel repräsentierte Informationen, zwischen denen keine unmittelbaren Reaktionen erfolgen oder die sich jedenfalls vorläufig nicht zu einer größeren Einheit zusammenführen lassen). Die meisten von uns kennen wohl das Spiel Tetris: geometrische Figuren regnen herab und man muss sie möglichst schnell und ökonomisch auf- und nebeneinander platzieren. In manchen Fällen klappt es sofort ("Fluss"), manchmal bildet sich aber eine Art "Stau" oder "Blase" ("See") und man muss warten, bis die Bedingungen aus der Summe nachfolgender Elemente günstig sind, um wieder einige Objekte ökonomisch aufeinander zu türmen. Es ist also entweder eine "direkte Reaktion" möglich oder der Aktionsraum dehnt sich infolge vorläufig nicht behandelbarer Objekte aus.

Im Gehirn muss aber eine lokal "unentschiedene" Situation nicht zwangsläufig den Betrieb aufhalten. Sie kann aufgrund eines (ggf. zufälligen) "Repräsentanten" nach dem "pars-pro-toto-Prinzip" für eine anderweitige Instanz als "determiniert" oder "vollendet" erachtet bzw. weiterbehandelt werden!

Es gibt nicht nur verschiedene Arten von Informationen (analog zu den "Tetris-Körpern"), sondern verschiedene, mitunter auch konkurrierende Algorithmen und Prozesse der Verarbeitung, auch konkurrierende Wahrnehmungsperspektiven, die u.a. jeweils eigene Ergebnisse/Werte in Bezug auf Objekterkennung, Kontextanalyse, Zeitdefinitionen und dem Grad der Intentionalität liefern.

Der langen Rede kurzer Sinn:

ich denke es gibt zwei primäre Mechanismen, die dafür sorgen, dass immer entweder eine vordergründige Information (Thema oder Repräsentation) oder eine vordergründige Funktion (Generieren/Kalibrieren von Perspektiven und Algorithmen) vorherrscht und wir deshalb immer das Gefühl haben, uns innerhalb einer "logischen" und "vollständigen" Handlung zu befinden!

 

 

SKALIERUNG und funktionale CLUSTERBILDUNG

 

Skalierung und Partitionierung (vgl. Kap V )gestatten es dem System, selektiv nach einer notfalls sogar zufälligen Priorität (zeit- oder kontextabhängig) den Wahrnehmungsraum zu zergliedern, Vollständigkeit oder Anteilsmäßigkeit lokal festzulegen und Teile wie Ganzes in wechselnder Form gegeneinander in Beziehung zu setzen. 

Das Problem ist Folgendes: wenn sich Dichte und Komplexität einer "nach oben weitergereichten" Information stets erhöhen und zur Wahrnehmung oder Integration einer komplexen Information stets ein noch komplexeres System erforderlich ist, kommt man irgendwann "ins Unendliche"! Man hätte dasselbe Problem wie die Kreationisten, die behaupten, die Kräfte der Thermodynamik und der Evolution wären unzulänglich, um eine Welt und lebensfähige Wesen hervorzubringen! So wie es eines übernatürlichen Gottwesens bedürfe, um eine Welt zu schaffen, so bedürfe es wohl einer übernatürlichen Seele, um Bedeutung, Sinngehalt und Kontext all dieser mannigfachen Informationen im Hirn (einschließlich des "Selbst-Bezuges" zwischen Subjekt und Erlebtem bzw. der Selbst-Generierung) zu gewährleisten, weil jedes physikalische System aufgrund funktional begrenzter Möglichkeiten dies gar nicht leisten könnte!

Nun, das Hirn hat Möglichkeiten, wieder auf eine "Abwärtsspirale" umzuschalten und den Wahrnehmungsprozess dennoch weiter am Laufen zu halten! Eine Information kann durch einen alternativen Repräsentanten, einen skalierten Bereich oder durch ein alternatives Ordnungsprinzip vorübergehende Dominanz erlangen! Aber wie nicht alles jemals Erlebte und Erlernte in unserem Gedächtnis haften bleibt, so bereinigt natürlich auch unser Aktualbewusstsein latent seinen Arbeitsspeicher. An einem Punkt starker interner Komplexität dominieren z.B. wieder "funktionsbasierte" Informationen aus tieferen Schichten, mglw. auch eine Emotion oder Empfindung, und bündelt unterschiedliche Informationen, die rein semantisch nicht unbedingt vereinbar wären, so dass letztendlich das "Einfache" das "Komplexe" dominiert bzw. integriert!

"Höchste Priorität" kann eine Information bspw. durch hohe Verdichtung, durch hohe begriffliche oder konzeptuelle Präzision aufweisen.

 

Die Wirkung (Funktion) oder Darstellung (Repräsentation) einer Information kann jedoch sogar gerade wegen einer schwachen Ausprägung und Undefiniertheit begünstigt sein, weil eine weniger ausgeprägte Information bindungsfähiger bzw. konnektiver ist, und so für mehrere, durchaus unterschiedliche Perspektiven und/oder Algorithmen infolge "minimal referenzwertiger" Kriterien ein Funktionsauslöser sein bzw. als "Baustein" fungieren kann.

Denken wir an die uns oft vertraute Situation, etwas "auf der Zunge liegen" zu haben aber einfach nicht drauf zu kommen, was es ist! Die quasi fast nicht vorhandene, nicht greifbare Information bringt unsere Assoziations- und Gedächtnisräume zum Rattern. Mitunter werden im Zuge der vergeblichen (oder vielleicht doch noch erfolgreichen?) Suche "abwegige" Zwischenergebnisse erzeugt, an die wir ohne einen gegebenen Anlass niemals denken würden?!

Für unsere Hintergrundempfindungen, Emotionen, etc. ist mitunter das kollektive "Rauschen" von Subfunktionen verantwortlich, die für sich genommen keine semantisch- logischen Ergebnisse liefern, deren Aktivität aber aus der Perspektive einer allgemeinen "internen Sensorik" registriert wird, so wie ich z.B. auf einem Schiff den Motor vibrieren spüre.

 Wir alle kennen vermutlich das Gefühl, dass uns manchmal ohne ersichtlichen Grund unheimlich zumute ist?! Wir empfinden eine Art düstere Ahnung, fühlen uns beobachtet oder spüren "Grabeskälte"?! Aber wir wissen weder warum noch vor was oder wem wir uns eigentlich fürchten sollten?! Was wir spüren, ist der "Leerlauf von Hardware", eine Aktivität innerhalb der für die Angstempfindung zuständigen Hirnregionen, die in diesem Augenblick aber keine Informationen verarbeiten, sondern ohne Anlass aktiv sind ("Funktion" aufweisen). Ähnlich verhält es ich, wenn uns nachts im Bett die Beine kribbeln. Vermutlich springen wir nicht hysterisch aus dem Bett um irgendwelche vermuteten Ameisen oder Maikäfer aus der Decke zu schütteln?! Wir  wissen, dass es sich um eine Nervenreaktion, eine Art Sinnestäuschung handelt.

 

Man kann, wie bereits angesprochen, grundsätzlich zwischen "Wirkung" und "Bedeutung" einer Information unterscheiden. Eine Bedeutung hat sie, wenn sie als konkreter (begrifflicher oder sinnbildlicher) Inhalt wahrgenommen wird. Eine Wirkung hingegen hat sie, wenn sie Funktionen auslöst und ggf. auch den Zustand des Beobachters (Aufmerksamkeit, Interesse, kognitive oder emotionale Reaktion) beeinflusst.

Wenn ich als Beobachter etwas nicht "verarbeiten", "einordnen", "in Beziehung setzen" kann, werde ich als Beobachter aus einer alternativen Perspektive innerhalb und für das Gesamtsystem in einen alternativen Bezug zur problematischen Information gesetzt! Wir erleben es mitunter, dass uns "rein zufällig" irgendeine Angelegenheit brennend interessiert. Könnte z.B. jemand analog zur Erzählung von Karl May willentlich und berechnender Weise Fausthiebe wie Old Shatterhand verteilen, die mit planmäßiger Gewissheit zur Bewusstlosigkeit des Opfers führen? Auf so eine Frage könnte man z.B. kommen. Man tauscht sich vielleicht sogar mit jemanden darüber aus oder "googelt" darüber. Aber die Nicht-Verfügbarkeit einer eindeutigen Antwort wird uns kaum dazu veranlassen, uns krank zu melden um einen ganzen Monat rund um die Uhr darüber nachdenken zu können! Irgendwann "interessiert es" uns einfach nicht mehr, wir "vergessen" das "Problem" oder ko-existieren mit dem fortan abgeschwächten "Problem"! 

 

Insbesondere das ICH muss weder durch ein bestimmtes Bild repräsentiert sein, noch durch eine konkret vorgegebene Funktion gebildet, noch aus einer konkret vorgegebenen Perspektive erlebt werden! Alles ist zu einem gewissen Grad variabel!

Das sog. „phänomenale Selbst“ ist kein „Ding“ sondern ein Prozess der Identifikation. Diese Selbst-Identifikation kann sich u.a. und je nach Umweltkontext auf unser sog. Selbstwertgefühl oder aber einen vordergründigen neuronalen Prozess beziehen!

 

Ich möchte die Selbst-Identifikation mit einer "Wellen-Analogie" beschreiben: Eine große Welle im Wasser besteht aus einem Hauptkamm, sowie einem jeweils vor- und nachgelagerten Wellental (siehe Abbildung unten). Die Welle insgesamt bewegt sich über die Wasserfläche zwar fort (verändert also ihre Position), behält dabei aber ihre Struktur bei! Sie befindet sich zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten und besteht zu verschiedenen Zeiten auch aus anderen lokalen Wassermassen (tauscht also die sie bildende Materie), sie hört aber solange sie sich fortbewegt "nie" auf, gleichzeitig zu entstehen (vorgelagertes Tal), ein Maximum zu erreichen (Hauptkamm) und "nachzuwirken" (nachgelagertes Tal).

 

Abb.87: Das Ich als eine wellenförmige Anregung.....

 

 

Abb.88: ..... mit voneinander unterscheidbaren Komponenten, die dennoch eine unteilbare Einheit bilden.....

 

Abb. 89: ......dieses raumzeitliche Muster bewegt sich wellenartig über die Oberfläche hinweg.....

 

 

Abb.90: .... wobei es sich in verschieden starker Ausprägung (Wellenkamm und /-täler) an verschiedenen Orten gleichzeitig befinden kann (Raumaufteilung A-C).

 

 

 

In einer klassischen Theatervorführung müssen natürlich erst die Bühne, dann die Requisiten, dann die Schauspieler (und dann ggf. der Hauptakteur) aufgebaut werden bzw. erscheinen.

Der Gesamt-Erlebensprozess besteht (wenn wir ihn analog zu einer Theaterbühne betrachten) zwingend aus einem "allgemeinen Wahrnehmungsraum" (der Bühne), aus hintergründigen Inhalten (den Requisiten), einer vordergründigen Handlung oder einer Hauptperson (im Hirn: das fiktive "Hier und Jetzt" bzw. das ebenso fiktive "ICH") und einer Darstellung des Kontextes zwischen Haupthandlung/ -person und koexistenten Inhalten.

 

 Im Hirn kann das alles zwar nicht "uneingeschränkt" durcheinander, sehr wohl aber zu einem gewissen Grad parallel ablaufen.

Die ist u.a. deshalb möglich, weil sich die einzelnen Komponenten - je nach Perspektive- "nur" in der Art ihrer Erzeugung, oder "nur" in der Art ihrer Repräsentation oder "nur" in der Art ihrer Funktion ausbilden, ändern oder unterscheiden und auch Mehrfachfunktionen übernehmen können! 

Oberflächlich betrachtet existieren und entwickeln sie sich gleichberechtigt und stets gemeinsam fort. Das ist mitunter ein Irrtum. Sie können sich gegenseitig integrieren und wieder auseinander hervorgehen!

Dies führt auch nicht zwingend zu einem Zirkelschluss in dem Sinne, dass eine bestimmte Sache, deren Existenz als Vorbedingung für eine andere bestimmte Sache gilt, bereits vorausgreifend mit dem zweiten Objekt eine Einheit gebildet oder interagiert hat.

Während der verschiedenen Stufen ihrer jeweiligen Entwicklung bzw. zeitweiligen Interaktion oder Vereinigung können die beiden Einheiten von wechselnden Bedingungen abhängig gewesen oder aus alternativen Ursachen hervorgegangen sein?!

 

Hierzu ein Beispiel:

 

Objekt X übt eine Wirkung auf Objekt Y aus und sorgt so für eine bestimmte (neue) Eigenschaft (Vergrößerung) von Objekt Y.

 

 Abb.91:  "Objekt X" vergrößert "Objekt Y"

 

Nun übt Objekt Y seinerseits eine Wirkung auf Objekt X aus und verhilft ihm ebenfalls zu genau derselben neuen Eigenschaft (Größe).

 

 

Abb.92: "Objekt Y" wirkt in gleicher Weise auf "Objekt X" zurück

 

 Ein unlogischer Zirkelschluss?

Nein!

Objekt X und Objekt Y können zu den verschiedenen Zeitpunkten ihrer oben beschriebenen Wechselwirkung aus unterschiedlichen Bedingungen hervorgetreten bzw. mit unterschiedlichen peripheren Strukturen in Verbindung gestanden haben sein (rote und blaue Linien) und dadurch unterschiedliche Eigenschaften aufgewiesen haben!

 

    

Abb. 93,94: "gleiche Objekte" aus unterschiedlichen Bedingungen hervorgegangen, die sich zwar nicht auf die Form, aber die Funktion ausgewirkt haben.

 

Oder sie wiesen zwar dieselbe Struktur (Form), nicht aber dieselbe Art von "Bausteinen" auf:

 

     

Abb.95,96: zu verschiedenen Zeitpunkten waren zwar gleiche Form und Struktur, jedoch verschiedene Komponenten und daher (teilweise) veränderte Eigenschaften vorhanden

 

Das X, welches die gleichartige Rückwirkung von Y erfährt, ist nicht mehr dasselbe X, das es zum Zeitpunkt seines eigenen Wirkens gegenüber Y war.

  

Warum arbeitet das Gehirn überhaupt mit so vielen inneren Perspektiven?

Perspektiven sind u.a. auch "Filter", "Zensoren"! Das System muss Echtzeit-Umweltwahrnehmungen und Echtzeit-Körperwahrnehmungen zu einem Gesamtbild vereinen. Darüber hinaus gilt es, künftige Körper- und Umweltzustände zu errechnen. Gleichzeitig fließen neue, aktualisierte Umwelt- und Körperinformationen in den Verarbeitungsprozess mit ein, während vorläufige Prognosen gegeneinander abgewogen und mit realem Input verglichen werden müssen. Allein schon die Konkurrenz bei der Aufnahme von Inhalten der realen Umwelt (die Umweltinformationen können schließlich unmöglich in ihrer vielschichtigen Gesamtheit wahrgenommen werden) wird dadurch verkompliziert, dass nicht nur externe Inhalte gegeneinander um "Einlass" in die Ebene der kognitiven Wahrnehmung ringen, sondern sich zudem interne Mechanismen (z.B. Algorithmen für Mustervervollständigung) in sich verstärkender oder konkurrierender Weise auf diese Informationen stürzen.

Ein Beispiel: wenn ich mir nicht sicher bin, ein Flusspferd oder ein Nashorn zu sehen (ragt nur das Hinterteil aus dem Gebüsch, ist die Befundlage zunächst fraglich) hängt dies nicht nur mit der Unvollständigkeit des externen Inputs, sondern auch mit dem Wettbewerb verschiedener sog. "Fuzzy-Prozessen" zusammen (Programme die geeignet sind, unvollständige Muster zu ergänzen), die jeweils voneinander abweichend für "Flusspferd" oder "Nashorn" plädieren!

 

Es gibt, wie an anderer Stelle bereits weiter ausgeführt, genügend Übergänge und Schnittstellen, an denen sich Informationen in die Quere kommen können:

Übergang von Materie zu Geist, von unbewusster zu bewusster Information ("Wahrnehmungsschwelle"), von "sachlicher" in "moralische" Information, vom "Thema" zum "Problem" ("Relevanzschwelle"), etc. 

An jedem dieser "Übergänge" muss eine quantitative und qualitative Priorisierung erfolgen. Allerdings nicht "bewusst" oder "planerisch", sondern rein physikalisch-biologisch, "selbstorganisierend" und von Energieniveaus abhängig.

Auf gröbster Skala betrachtet, besteht der Zweck der inneren Perspektiven darin, den Erlebensprozess in diskreten Schritten am Laufen zu halten! Aus einer fiktiven Gegenwart heraus muss die Vergangenheit definiert und die Zukunft gebildet werden.

 

 

Dies geschieht im Spannungsfeld relfektierender und projizierender informationsverarbeitender Prozesse

 

Reflektierende Prozesse ordnen Inhalte zeitlich nacheinander......

 

Abb.97: chronologische Aneinenderreihung

 

...und bündeln Inhalte zu größeren Informationseinheiten

 

   

 

Abb.98,99: Zusammenfassen in größere Einheiten

 

 

 Projizierende Prozesse stellen Inhalte zeitlich nebeneinander....

  

 

Abb.100: Gleichzeitige Darstellung von Repräsentationen

    

 

Projizierende Prozesse lösen Informationen und/oder sind divergent

 

  

 

Abb.101,102: Herauslösen von Informationen aus übergeordneten Kontexten

 

 

Bezüglich der in KAP II der aktuellen Seite postulierten 4 System-Grundperspektiven könnte man annehmen:

"Existenz" und "Integration" sind der "Reflexiv-Modus" des Gesamtsystems (analog zu "Erinnerung" für das SELBST), "Situation" und "Ereignis" hingegen sind der Projektions- oder Agitationsmodus des Gesamtsystems (analog zu "Planen", "Entscheiden" und "Bewerten" für das SELBST).

 

Reflexion bedeutet auf dieser groben Skalierung, den Erlebensprozess (anteilsmäßig) "abzuschließen", aus einer "Außenperspektive" heraus als "Vergangenheit" oder "determinierte Zukunft" zu erachten. Das Selbst wird für das System im Kontext zu seinen Wahrnehmungsinhalten, darunter auch seinen "Themen" und "Problemen", als Einheit gedeutet. Notfalls werden die Inhalte (einschließlich des Selbst) den Integrationsbedingungen angepasst, nicht umgekehrt! Wie wir wissen, muss das Ich weder durch (allzu sehr) bestimmte Informationen repräsentiert, noch durch (allzu spezifische) Funktionen gebildet werden!

Die jeweils nächsten Projektions- oder Agitationsschritte (auf größter funktionaler Ebene bzw. auf der Skala des Gesamt-Erlebensprozesses betrachtet) können sich auf verschiedene Weise ergeben.

Für das bewusste Ich gibt es immer ein neues "Thema", zumindest aber eine neue vordergründige Wahrnehmung oder einen "äußeren Kondensationspunkt" (vgl. Kap.VI der aktuellen Seite). Aber wie kommt das Gesamtsystem zu seinem nächsten Reaktionsschritt?

 

 

Eine mögliche Teilerklärung:

Während sich innere Perspektiven und Algorithmen („Programme“ zur Mustererkennung, u.a.) innerhalb verschiedener Ebenen mit Informationen auseinandersetzten, entsteht sekundärer Input, der sich aus der Aktivität dieser Mechanismen ergibt. Es verhält sich in etwa analog zu einem Schiff, dessen Bugwelle die Oberfläche auf einem Bereich der durchkreuzten Wasserfläche verändert.

 

 

Abb. 103 : Das Schiff erzeugt durch seine Bugwelle "scheinbar" zwei getrennte Bereiche auf der Wasseroberfläche

 

 

Wenn sich nun die "Nebeneffekte" einer ganzen Anzahl an Submechanismen im Gesamtraum ausbreiten und überlagern, entstehen mglw. innere Bilder einer anderweitigen Ordnung, die von funktional schwächeren, weniger spezifizierten Wahrnehmungsperspektiven oder Algorithmen als ein Muster gedeutet werden könnten.

Stellen wir uns vor, ein bestimmter "Suchalgorithmus" wäre gerade aktiv, ein Muster aufzuspüren. Wie könnte man sich die Funktionsverstärkung eines solchen Algorithmus vorstellen?

Eine Möglichkeit bestünde in seiner Klonierung. Kopien seiner Selbst durchschreiten den (abstrakten) Wahrnehmungsraum.

Er könnte aber auch in seiner Gesamtheit wachsen, sich höher skalieren.

 

      

Abb.104: "Startposition"      Abb.105: Funktionsverstärkung durch Klonierung   Abb.106: Funktionsverstärkung durch Wachstum

 

Wenn nun eine innerhalb des skalierten oder sich skalierenden Wahrnehmungsraumes verteilte "innere Sensorik" Muster erfasst, die sich indirekt aus der Aktivität diverser Mechanismen der Perspektivenbildung oder aktiver Algorithmen ergeben, würde der in Abb. 106 gewachsene Algorithmus, obgleich an sich eine Einheit bildend, innerhalb der verschiedenen Bereiche des Raums als eine Ansammlung abweichender Objekte erfasst.

 

Eine wichtige Gegenüberstellung:

Für mich als Subjekt können Dinge (also Informationen über Dinge) völlig neu, völlig fremd und völlig desintegrierbar sein. Für das System (seinen Reflexivmodus) bedeutet "neu" aber lediglich die graduelle Abweichung einer Information innerhalb eines bekannten Kontextes. Auch die systeminterne Repräsentation des Selbst mitsamt seiner (ungelösten) Probleme kann nur innerhalb vorgegebener Gesamtbedingungen schwanken!

Es gibt also grundsätzlich zwei Arten von "neu": Die Erweiterung einer "alten" Sache oder etwas wirklich "Neues", dass vorher nicht vorhanden war.

 

 Abb.107: Bauer Hans hat ein "neues" Feld infolge einer anderen Aufteilung bekommen.

 

Abb.108: Bauer Hans hat ein zusätzliches neues Feld bekommen.

 

Der Gesamt- Erlebensprozess ist unabhängig "neuer Wahrnehmungsinhalte" immer in sich "geschlossen", da neue Inhalte nur innerhalb "alter" bzw. vorgegebener Strukturen abgebildet werden können.

 

Stellen wir uns eine Ratte in einem Labyrinth vor. Wir beobachten sie eine Weile. Wir wissen, welche Orte sie gerne aufsucht.

 

Abb.108: Wir haben die Ratte eine Weile beobachtet: Sie hat bisher Ort 1 und Ort 2 (blau) aufgesucht. Nun hat sie einen "neuen Ort" gewählt, nämlich Ort 3 (grün).

 

 

Abb.: 109: Ratte bewegt sich im Labyrinth

 

Abb. 110: Nun verlässt sie das Labyrinth. Aber was passiert? In genau diesem Augenblick wächst das Labyrinth, es "skaliert höher" und schließt die Ratte und ihrem neuen Aufenthaltsort ein.

 

 

Abb.110: Ratte verlässt das Labyrinth, welches im selben Augenblick höher skaliert

 

 

Da der "neue Ort" diesmal außerhalb des ursprünglichen Labyrinths liegt, werden die Ratte, der Weg und der neue Ort zu einer Einheit

D.h. bisher bestand eine analoge, kleinstmögliche Veränderung des Gesamtereignisses in einem Ortswechsel der Ratte. Nun aber besteht die kleinstmögliche Veränderung in einem gleichzeitigen Wachstum des Labyrinths bei gleichzeitiger Ortsveränderung der Ratte (erinnern wir uns an das Beispiel eines Schachzuges in Kap. IV, Abb.67,68. Ein einziger analoger Zug schafft zwangsweise mehrere, untrennbare Ereignisse, die man zwar einzeln beschreiben, aber nicht einzeln herbeiführen kann).

 

So wie die Ratte das Labyrinth nicht verlassen kann, so können auch wir unseren "Erlebensprozess" nicht verlassen! Wenn Funktionen der Perspektiven-Generierung oder Algorithmen aufeinander treffen, können sie, wir bereits erwähnt, in Wechselwirkung miteinander treten oder sich gegenseitig als Information erfassen. Bei hinlänglich intensiven "Sekundär-Input" (als indirekte Folge der Aktivität von Wahrnehmungsfunktionen) können sich für eine angenommene "interne Sensorik" des Wahrnehmungsraumes Muster ergeben, die entweder semantischen Inhalt haben oder zumindest einen "Schwerpunkt" bilden! Dieses "fiktive" Konstrukt betritt als erstes die neue Sequenz des Gesamt-Erlebensraumes. Ihm folgen die latenten Inhalte ("Bühne", "Requisiten", "Handlungen" und das "Selbst" als Hauptperson). Die einzelnen Komponenten können während dieses Übergangs ein vereinheitlichtes Element darstellen, so wie die o.g. Ratte im Augenblick des Verlassens des (ursprünglichen) Labyrinths mit dem neuen Raum und dem neuen Ort eine Einheit bildet!

 

 

Noch ein (sehr anschaulich-plastisches) Gedankenexperiment:

 

Wir träumen, wie vermutlich jede/r von uns aus eigener Erfahrung bestätigen kann, nachts regelmäßig. Keinesfalls bleibt unser bewusstes ICH im Traumerleben außen vor! Es gibt genügend Träume, innerhalb derer wir scheinbar voll präsent sind und mitunter konkret fühlen, bewerten und entscheiden!

Stellen wir uns einen nächtlichen Träumer vor, der eine Reihe an Szenen durchlebt: er träumt zunächst von einem U-Boot. Vielleicht hat er am Vorabend "Das Boot" gesehen, einen eindrucksvollen Film aus den 80er Jahren, der die prekäre Lage der deutschen U-Boot-Waffe im fortgeschrittenen Stadium des 2. Weltkriegs am Beispiel eines einzelnen Bootes und seiner Besatzung eindrucksvoll schildert. Unser Träumer sitzt nun als Kommandant vor dem Sehrohr, sieht aus geringer Entfernung einen dicken Frachter in günstiger Schusslage schwimmen. Er denkt nach: "Soll ich einen einzelnen Torpedo oder einen Fächer aus mehreren Torpedos schießen?“ "Soll ich auf den Bug oder die Schiffsmitte zielen?"

 

 Abb.111 (Traumszene): Einen oder mehrere Torpedos schießen? ... Auf Bug oder auf Schiffsmitte zielen?

 

Es kommt zu keiner Entscheidung und zu keiner Versenkung! Das Traumszenario wechselt nämlich abrupt! Im nächsten Moment ist er nämlich kein U-Boot-Kommandant mehr! Anstatt den Befehl zum Bewässern der Torpedorohre zu erteilen, wandert er nun einsam auf einem verlassenen Gebirgspfad vor herrlichem Panorama. Er hat sich verlaufen. Er wird unsicher, ob er sich auf dem richtigen Weg zur gemütlichen Berghütte befindet.  Soll er lieber umkehren?! 

 

Abb.112: (Traumszene) Auf einsamer Wanderung- umkehren oder nicht?

 

Zu einer Entscheidung bzw. einem Fortgang der Geschichte kommt es allerdings auch hier nicht! In der nächsten Traumszene befindet er sich nämlich in einem großen Gebäude mit langen Gängen, die mit Bürotüren flankiert sind. Er sucht den Chef dieser opulenten Firma, dem er eine wichtige Meldung überbringen muss. Er huscht ratlos von Tür zu Tür und versucht verzweifelt, das richtige Büro zu finden!

 

 

Abb.113 (Traumszene): Verloren in einem riesigen Gebäude. "In welchem Büro nur sitzt der Chef?"

 

Der Schlaf wird unruhiger und das Traumerleben tendiert zum Albtraum. In der nächsten Szene befindet sich unser Träumer im Innern eines dunklen Hauses. Auf der Suche nach dem Ausgang erscheint ihm das Gespenst einer Frau, dass ihn sehr ängstigt!

 

 

Abb.114 (Traumszene): Begegnung der unheimlich Art

 

  

Am nächsten Morgen wundert sich unser Träumer, während er am Frühstückstisch sitzt, über seine Träume! Er erinnert sich an die Entscheidungssituationen als U-Boot-Kommandant und als Wanderer, ebenso an die rastlose Suche nach dem Büro des Chefs und an die verstörende Begegnung mit einem Gespenst. Und jetzt kommt ihm vielleicht auch die Frage, die ihm während des Traums überhaupt nicht in den Sinn kam, ja überhaupt nicht in den Sinn kommen konnte: "Warum war plötzlich mein U-Boot weg und warum befand ich mich stattdessen auf einmal im Gebirge?" "Und wie bin ich von den Bergen in diesen tristen Bürobunker und von dort wiederum in das Spukhaus gekommen?!"

Das Hirn hat den Erlebensprozess (hier das Traumerleben) also über eine gewisse Distanz ohne die Selbst-Implikation fortgeführt! Als das ICH in der neuen Szene wieder präsent war, konnte es sich auch nur mit den Inhalten dieser neuen Szene befassen und hatte keine Interaktionsmöglichkeit mehr mit der vorangegangenen Traumszene. Wir wissen es nicht, wir merken es nicht- weil unser Unterbewusstsein verdammt flugs mit einer "Lüge", einem Selbsttäuschungsmanöver aufwartet, wenn es geschieht: Aber auch in unserem Wachbewusstsein gibt es Übergänge, in denen eine oder mehrere der an sich zwingend erforderlichen Grundkomponenten des Erlebensprozesses gar nicht als autonome Einheiten vorhanden ist/sind bzw. nur rein funktional (nicht als repräsentationsfähige Informationen) innerhalb bzw. als Bestandteil anderweitiger Komponenten "fortgeführt" werden!

 

KAPITELÜBERSICHT

 

 

Kapitel VIII:

STABILES ICH, KRANKES ICH

 

    DIE  KOHÄRENZ  DES  ICH´S

Wesentlicher Aspekt unseres geistigen Erlebens und nicht weniger dringliche Voraussetzung für unsere psychische Gesundheit sind die gefühlte Kontinuität und Stabilität unserer Selbstrepräsentation und Selbstidentifikation! Gleichwohl handelt es sich hierbei um eine Täuschung! Das ICH oder vielmehr seine fortlaufende Generierung ist in Wirklichkeit eher die Teilmenge, mitunter auch Sonderform (an Ausprägung) verschiedener, bisweilen wechselnd beteiligter informations- und emotionsverarbeitender Prozesse, als eine autonome Instanz oder ein selbständiges Muster (vgl. Ausführungen in Kap VII)!

 

Aktualität als Qualitätsmerkmal 

Das ICH ist die aktuellste Information über die das System verfügt! Und zwar nicht nur infolge der Unmittelbarkeit und Aktualität der Körperempfindungen, sondern aus der Tatsache, dass die ICH-Generierung niemals einen vollendeten IST-Zustand erreicht! 

Das wesentlichste Merkmal am ICH ist also jener, dass das Hirn mit der Generierung dieser Information nie fertig wird (bis wir sterben - dann ist die ICH- Generierung aber ebenfalls nicht "vollendet", sondern abgebrochen!). Es gibt kein vollendetes sondern nur ein sich immerfort im Entstehen begriffenes ICH! Eine sich ständig generierende Information kann mangels vollendeter Ausprägung und fester Kerneigenschaften auch nur eingeschränkt durch den Kontext zu anderweitigen Informationen relativiert und verändert werden (das gilt natürlich nicht für den semantischen Gehalt unseres kognitiven Selbst-Konzepts, sondern für die Stabilität unserer Selbst-Empfindung)!

Die "Vorwärtsbewegung" des Ichs auf der Zeitachse geschieht durch die darwinistische Realisierung einer konkreten Möglichkeit gegenüber einer Vielzahl an denkbaren alternativer Möglichkeiten! Ich möchte dies an folgendem Beispiel verdeutlichen. Ich kann jetzt in den Keller gehen um ein Getränk zu holen. Ich kann auch in den Keller gehen, ein Getränk holen und währenddessen ein Lied pfeifen. Diese Aktivitäten schließen sich nicht aus! Wenn ICH aber derjenige bin, der jetzt gerade ein Getränk aus dem Keller holt, dann kann ICH nicht derjenige sein, der jetzt ein Getränk aus dem Keller holt und dabei gleichzeitig dabei! Derjenige der beides tut hätte ICH vorher noch sein können,  jetzt aber nicht mehr, später hingegen schon wieder!

Fest steht nur, dass ein realisierter Zustand anderweitige (ggf. nicht weniger wahrscheinliche) Varianten unterdrückt bzw. ausschließt.

Was ich im nächsten Augenblick tue, ist zu einem gewissen Grad tatsächlich Zufall! Diese Zufälligkeit bedeutet aber nicht, dass meine Erlebens- und Entscheidungsfähigkeit ganz eng determiniert wäre! Der (darwinistische) Ausschluss eines bestimmten denkbaren Bewusstseinszustandes oder bestimmter denkbarer Erlebensinhalte bedeutet nicht den Ausschluss sämtlicher Inhalte und Folgeresultate, die sich aus diesem nicht realisiertem Zustand heraus hätten ergeben können! Manche dieser denkbaren Folgezustände können auch unter anderen Bedingungen und auf alternative Weise realisiert werden (ich kann z.B. über Dresden oder über Köln nach Hamburg gelangen). Ein eingetretener Bewusstseinszustand entspricht nicht dem "Endpunkt" einer Verzweigung! Er bildet vielmehr einen neuen Streukreis an prinzipiell denkbaren Folgezuständen. Die denkbaren Inhalte verschiedener Bewusstseinszustände überlappen sich natürlich auch.

Die prinzipielle "Kohärenz" des Ich-Bewusstseins hängt u.a. vom Quotenverhältnis reflektierender und projizierender Aktivität innerhalb lokaler Assoziationszentren und deren inhaltlichen Schwerpunktbildung ab. Dieses Quotenverhältnis unterliegt aber nicht dem Zwang einer Feinabstimmung auf geringsten Skalen, sondern ist, im Gegenteil, auf eher größeren Skalen volatil! Hierzu eine kleine Analogie: Wenn ich drei Würfel habe und mit einem Wurf 11 Zähler erreichen will, ist die Erfolgswahrscheinlichkeit ziemlich gering. Gilt es hingegen, mit drei Würfeln eine Zahl zwischen 5 und 15 zu erreichen, überwiegt die Anzahlt an passenden Möglichkeiten!

 

SCHLUSSKOMMENTAR  ZUM  ICH

Es gibt kein "ICH" im Sinne eines fixen Persönlichkeitskerns, sondern nur eine "ICH-Repräsentation"! Es gibt kein Selbst, sondern "nur" eine Selbst-Bezüglichkeit. "ICH" selbst zu sein bedeutet, "mich" in einem bestimmten Augenblick mit einem konkreten neuronalen Prozess zu identifizieren. Besser gesagt: Im Fokus einer kleinen, projizierenden Perspektive eine Aktivität vorzunehmen und mich währenddessen imm Fokus einer größeren, reflektierenden Perspektive mit einer kurzen Abfolge an Aktivitäten zu identifizieren.

Ein Kupferdraht der Strom führt unterscheidet sich physikalisch in Nichts von einem der nicht unter Strom steht. Ebenso wenig unterscheidet sich eine (augenblicklich) an der Bewusstseinsbildung beteiligte Struktur (Assoziationsfeld, Schaltkreis, Netzwerk, Cluster) von einer im Moment nicht bewusstseinsrelevanten Struktur, nur dass sie zum betreffenden Zeitpunkt sehr stark mit anderweitigen Assoziationsfeldern und Schaltkreisen re-entrant wechselwirkt.

 

 

  DAS  KRANKE  ICH:  SCHIZOPHRENIE

SCHIZOPHRENE BEWUSSTSEINSVERZERRUNGEN - WAS BEDEUTET DAS?

Leider weiß die Wissenschaft nur sehr wenig über Schizophrenie, und die Summe dessen, was sie weiß, ergibt mitunter kein recht schlüssiges Bild!

Die "Leistung" der Medizin bestand in der Vergangenheit darin, eine Vielzahl höchst konkreter und scharf gegeneinander abgegrenzter Kategorien von Geistesstörungen (Unterformen von Schizophrenie und Depression) mit angeblich jeweils unverwechselbaren Symptomen zu definieren.

Ferner ist man sich (wohl zu Recht) darin einig, dass genetische Faktoren offenbar eine gewichtige Rolle spielen! Zeugen gesunde Eltern ein Kind, wird dieses mit einer Wahrscheinlichkeit von einem Prozent irgendwann im Laufe seines Lebens vorübergehend oder chronisch an Schizophrenie erkranken! Ist ein Elternteil von dieser Krankheit betroffen, erhöht sich das Risiko für das Kind auf 15%, im Falle zweier betroffener Elternteile auf 30%. Ein Krankheitsausbruch ist bei manisch-depressiven Störungen oder Schizophrenie zu schätzungsweise 80% auf genetische Dispositionen zurückzuführen! Gleichwohl war und ist die Suche nach "Schizophrenie-Genen" ein anhaltender Misserfolg! Es konnten nur sehr wenige eindeutige Zusammenhänge aufgedeckt werden, die für sich genommen nur einen geringen Bruchteil des Gesamtproblems (bedingt) erklären können!

Nun pflanzen sich schizophrene oder allgemein psychisch kranke Menschen aus einer Reihe nahe liegender Gründe (nicht zuletzt wegen gesellschaftlicher Stigmatisierung) in viel geringerem Umfang fort und haben zudem eine im Mittelwert geringere Lebenserwartung. Setzen sie aber Kinder in die Welt, sind auch diese von einer geringeren Fortpflanzungschance und Lebenserwartung betroffen! Die Evolution selektiert schädliche, dem Überlebensvorteil (und insbesondere dem Reproduktionserfolg) hinderliche Gene aber üblicher Weise aus! Theoretisch sollte es also immer weniger  Leute geben, die von solchen (erblich bedingten) Krankheit betroffen sind! Dies gilt umso mehr, als die Symptome diverser Geisteskrankheiten zumeist schon in jungen Lebensjahren (im frühen bis mittleren Erwachsen- und somit im fortpflanzungstypischen Alter) auftreten!

Dessen unbeschadet liegt der weltweite Anteil schizophrener Menschen über sämtliche Regionen und Kulturkreise hinweg aber seit je her bei stabil etwa einem Prozent!

 

Wie ist das möglich? 

Nachfolgende Absätze sind sinngemäß aus dem Buch "Die Hirnforschung auf Buddhas Spuren" (James Kingsland, Beltz Verlag, Weinheim, 2017) zitiert:

Man neigt zwischenzeitlich zu folgender Einschätzung, die unter der "Cliff-Edge-Hypothese" bekannt ist: Die "Schizophrenie-Gene" sind an sich gar nicht nachteilig oder schädlich! Sie bringen im Allgemeinen ihren Trägern sogar Vorteile auf dem Gebiet der Kreativität und geistiger Flexibilität. Man hat festgestellt, dass sich nahe Familienangehörige von Schizophrenen, die nicht von der Krankheit betroffen sind, stärker fortpflanzen als der Bevölkerungsdurchschnitt!

Die "Cliff-Edge-Hypothese" geht davon aus, dass ein bestimmtes genetisches Merkmal bis zu einem bestimmten Ausprägungsgrad nützlich und vorteilhaft ist, jenseits dieses "günstigen Skalenwertes" aber ins Gegenteil umschlägt! Menschen mit "leichtem Kreativitätsüberschuss" werden sicherlich positiv wahrgenommen und interagieren tendenziell erfolgreich mit ihrer Umwelt, was ihren Fortpflanzungschancen zugute kommt. Zu viel Kreativität ist hingegen zweifelsfrei gesundheitsschädlich. Zahlreiche berühmte Künstler hatten z.T. schwer mit geistigen Störungen zu kämpfen!

Bei manchen Geistesstörungen könnte auch der "Balancierte Polymorphismus" eine Rolle spielen. Dies bedeutet, dass in einer Population mehrere verschiedene Varianten (Allele) eines Merkmals in nennenswertem Anteil zu finden sind. Das ist insofern bedeutungsvoll, als jedes Merkmal in seiner Umwelt einer Selektion ausgesetzt ist und es ebenso möglich wäre, dass sich nur eine Variante mit maximaler Fitness evolutiv durchsetzt.  Ein klassisches Beispiel ist die gehäuft in Afrika auftretende Sichelzellenanämie. Wer das entsprechende Gen nur einmal von einem Elternteil erbt, ist gegen Malaria resistent - ein bedeutsamer Vorteil für Menschen, die unterhalb der Sahara leben! Von beiden Elternteilen vererbt verursacht dasselbe Gen aber viele gesundheitliche Nachteile, Schmerzen und ein deutlich höheres Risiko gegenüber einem Schlaganfall!

Ebenso setzt sich in der Fachwelt die Erkenntnis durch, dass die verschiedenen psychischen Leiden mitnichten sehr klar voneinander abgegrenzt sind und sich insbesondere in Bezug auf ihre genetischen Ursachen viel ähnlicher sind als es die spitzfindige, mikroskopisch auf die Kategorisierung von Symptomen bedachte Diagnostik der Psychiatrie vermuten lässt! Geistige Störungen sind eher ein Bündel von Symptomen, die sich in ihren Intensitäten abhängig von alltäglichen Erlebnissen individuell verändern können!

Auch ist der Übergang zwischen gesunden und kranken Geisteszuständen weitaus durchlässiger und fließender als man es im Allgemeinen annimmt!

Wesentliche Symptome sind in breiten Teilen der Bevölkerung zu finden! In Großbritannien wurde eine repräsentative Zahl von Menschen vom nationalen Statistikamt mit psychologischen Standard-Fragebögen befragt. Die Ergebnisse waren u.a.: 20 bis 30% aller Erwachsenen fühlen sich ständig von anderen Menschen bedroht, einer von sechs Erwachsenen überlegt permanent, wem er unter seinen Freunden oder Kollegen überhaupt noch trauen kann. Ungefähr 10% fühlen sich ständig beobachtet und angestarrt und 2% sind davon überzeugt, dass gegen sie Komplotte geschmiedet werden. Dies spricht für eine beeindruckende Präsenz paranoider Wahrnehmungen innerhalb der "Normalbevölkerung"!

...Ende des sinngemäßen Zitats...

 

Ich möchte abschließend noch einmal auf Oskar eingehen, den Menschen, den ich im Vorwort kurz porträtiert habe. Ich kann leider nicht beurteilen, inwiefern seine Geschichte und sein Krankheitsverlauf repräsentativ sind! 

 

Bereits als Kind und Jugendlicher reagierte er auf Konflikte jeglicher Art auf besonders sensible und fatale Weise! Was immer seinen persönlichen Wünschen und Interessen oder aber seinen abstrakten (moralischen, ideellen) Wertesystemen zu widersprechen schien, überforderte ihn seelisch maßlos!

Solch eine "Verletzung" (durch Nicht-Übereinstimmung von idealisierter Vorstellung und Realität) wurde sehr schnell ausgelöst, erzeugte höchste Stufen von Frustration, führte zu bisweilen blindwütigem Aktionismus und schließlich zu Resignation!  Eine Selbstberuhigung war ihm kaum möglich und er grübelte und brütete unsäglich über diese zumeist irrationalen Konflikte. Erschwerend belasteten ihn starke soziale Ängste und Minderwertigkeitsgefühle.

Phasenweise waren seine "Konflikte" begrifflich oder konzeptuell greifbar, phasenweise waren sie sehr diffus und sein rastloser Wunsch Dinge zu verändern zielte buchstäblich ins Leere! Mitunter schien sich die Kausalität des geistigen Erlebens sogar umzukehren: zuerst kam das Gefühl, irgendetwas wäre absolut nicht in Ordnung (und läge zudem im Bereich seiner persönlichen Schuld, Verantwortung oder Zuständigkeit) und erst anschließend die Idee oder Vorstellung darüber, um was für ein Problem es sich überhaupt handeln und wie ihm abgeholfen werden könnte!

Dieser sehr komplexe Stress begünstigte das Entstehen einer dauerhaften psychotischen Störung mit Phänomenen, wie sie im Vorwort dieser Publikation beschrieben sind.

Da ihm die Neuroleptika (eine gegen Schizophrenie eingesetzte Medikamentengruppe, die leider nur einer Minderheit der Betroffenen im begrenzten Umfang Linderung verschafft) nur Nebenwirkungen, jedoch keine Besserung brachten, setzte er sie eigenmächtig und dauerhaft ab.

Einhergehend mit einer nach und nach eintretende Harmonisierung seiner sozialen Beziehungen und seinem steigenden Selbstwertgefühl bildeten sich die Symptome über Jahre hinweg zusehends zurück! Durch seine erste sexuelle Beziehung und dem dadurch gebrochenen Bann einer von ihm befürchteten lebenslangen sexuellen Isolation, die er (mglw. korrekt) als Folge seiner verminderten kommunikativen Eloquenz und seines unsicheren Auftretens ansah, erreichte er schließlich einen seelischen Allgemeinzustand, der für Außenstehende nicht mehr von jenem einer geistig völlig gesunden Person zu unterscheiden war!

Leider lag ausgerechnet im vermeintlichen Schlüssel zum normalen Leben, der angesprochenen Beziehung (und einem damit einhergehenden allgemeinen "sozialen Kompetenzgefühl"), auch der Grund für eine neuerliche Odyssee durch schweres seelisches Leid, das ihn über Jahre hinweg wieder latent an den Rand einer Psychose führte!

Die Frau, die ihn durch emotionale Erpressung in eine feste, dauerhafte Beziehung einbinden wollte und zunächst von der ihm verhassten sexuellen Isolation erlöste, erwies sich als sehr charakterschwach! Durch einen feindseligen Zugriff auf sein Tagebuch wühlte sie seine alten (irrationalen) Konflikte auf! Sie beanspruchte die Deutungshoheit über schriftlich fixierte Selbst-Reflexionen und Selbstkritik des in Ungnade gefallenen Partners und und konfabulierte einen Wulst finsterer Übertreibungen und Lügen!

Es schien diesmal eine konkrete, sozial-zwischenmenschliche Erfahrung gewesen zu sein (nicht die "zufällige" Schwankung eines "chronischen" Krankheitsbildes), die Oskar hartnäckig belastete und eine Selbstberuhigung langfristig verhinderte.

 Gegenüber seinen früheren Krankheitssymptomen indes schien und scheint er jedoch weiterhin gefeit zu sein.

Patienten, die sich wegen Schizophrenie in Behandlung begeben, erfahren seitens ihrer Ärzte und Therapeuten mitunter eine demütigende Missachtung ihrer Individualität! Schubladendenken, antiquiertes schulmedizinisches Halbwissen, spitzfindig überdefinierte Diagnosen und Prognosen werden ihnen offeriert. Die Qualität und ggf. Abweichung ihrer subjektiven Erfahrungen gegenüber den dogmatisch postulierten "Standardverläufen" wird geleugnet!

Im Falle von Oskar war unbeschadet einer genetischen Disposition eben doch (auch) die individuelle Lebenserfahrung sehr maßgeblich am Ausbruch der Krankheit beteiligt! Ebenso schien die Rückbildung der Symptome bis zum Grad einer scheinbaren "Genesung" (ein aus schulmedizinischer Sicht bei "chronischem" Krankheitsverlauf geradezu "verbotener" Vorgang) mit der zunehmenden Qualität seiner sozialen Beziehungen in Verbindung zu stehen?!

 

Zufall? Irrtum? Statistischer Ausreißer?

Schon denkbar! Vielleicht aber auch nicht!

Ich möchte meine (spekulativen) Überlegungen hier zu einem Schluss führen. Depression ist eine Gemüts- oder Geistesstörung, bei der das emotionale Erleben zerrüttet und in seiner Gesamtheit negativ eingefärbt wird.

Dem gegenüber ist die Schizophrenie eine Geistesstörung, bei der die gedanklich-kognitiven Prozesse gestört sind und darüber hinaus ungewöhnliche mentale Perspektiven (besser gesagt: mangelhafte funktionale Qualitäten und Überschneidungen dieser Perspektiven) erzeugt werden.

So wie bei einem Depressiven wohl irgendwelche Systeme gestört sind, innerhalb derer emotionale Reize verarbeitet werden, sind bei einem Psychotiker bzw. Schizophrenen analog hierzu wohl Schaltkreise gestört, die explizit  mit "Konfliktbewältigung" zu tun haben!

Nun soll aber nicht behauptet werden, am Ursprung einer jeden Psychose stünde tatsächlich ein realer Konflikt, in den die betreffende Person tatsächlich verwickelt war!

So wie bei der Depression Sachverhalte, die nach gewöhnlichen Maßstäben "belanglos" scheinen, vom Betroffenen gleichermaßen übertrieben stark als auch übertrieben negativ wahrgenommen werden, so kann analog hierzu das Konflikterleben eines Psychotikers höchst dramatische Züge annehmen, ohne dass sich die Dramatik "logisch" aus irgendwelchen tatsächlichen Begebenheiten ableiten ließe!

 

Ich verweise unter Aussparung von Details noch einmal auf das KAP III dieser Seite:

Es wurde differenziert zwischen "normalen" ("analogen") Informationen, die man aus einer "Außenperspektive" heraus wahrnimmt, und zwischen "Themen", denen gegenüber das Subjekt eine "Intention" aufweist, in die es  ggf. auch "involviert" ist und die es aus einer "Innenperspektive" heraus wahrnimmt und erlebt.

Ein Problem wurde als eine mögliche Steigerungsform von "Thema" beschrieben, als eine Information, die entweder dem persönlichen (Über) -lebensvorteil widerspricht (für weniger Lustgewinn oder größeren Schmerz steht) oder "unlogisch" (unvollständig, widersprüchlich oder mehrdeutig) ist.

Wir haben festgestellt, dass ein Problem "logisch" oder "funktional" gelöst werden kann (durch eine formal-logische Lösung durch das "Selbst" oder einen Perspektivenwechsel des "Systems").

Wir haben ferner zwischen "sachlichen" (die Umwelt betreffenden) und "moralischen" (das eigene "Ich" und Selbstwertgefühl betreffenden) Informationen unterschieden.

Wir haben das Selbstwertgefühl und seine drei maßgeblichen Komponenten (Akzeptanz, Legitimität und Integrität) kennen gelernt, ebenfalls "Konflikte", die das Selbstwertgefühl summarisch oder in einzelnen seiner Komponenten angreifen.

Wir wissen auch: Zu einem Konflikt gehören ein Kritiker, eine kritisierte Tat oder Eigenschaft und eine kritisierte Person.

Ein Konflikt hat Steigerungsgrade (Krise, Trauma,..) und schließlich, dies ist zumindest meine Annahme, auch die Psychose bzw. Schizophrenie.

 

Nicht vollständig ausgeprägte Konfliktvariablen "diffundieren" und "streuen" inhaltlich in den Bereich der anderweitigen Variablen. Wenn der Gegenstand der kritikwürdigen Tat, die Person oder das Motiv des oder der Kritiker/s, die Stichhaltigkeit bzw. sachliche Richtigkeit der Kritik oder der Grad an persönlicher Schuld des Kritisierten (Diskrepanz zwischen Wille und Wirkung?) unklar und darüber hinaus nicht kommunizierbar sind, kann dies fatale langfristige Auswirkungen auf das subjektive Erleben haben!

Ein Konflikt ist ein "moralisches" Problem, bei dem das eigene Ich zum Gegenstand des Problems wird.

Das eigene Selbstbild kann ähnlich "diffundieren" wie unzulänglich ausdifferenzierte Konfliktvariablen!

Nicht zuletzt deshalb ist ein Konflikt die vermutlich schwierigste Art von Information, mit der ein Subjekt sich mental auseinandersetzen (gezwungen sein) kann!

Das eigene Selbst oder ICH ist, wie in dieser Publikation vielfach angesprochen, eine temporäre Angelegenheit, die aus der "Perspektive" des Gehirns sowohl eine "Parallelinformation- bzw. -funktion" darstellt, als auch einen gesonderten Mechanismus für die Verarbeitung von Informationen, die nicht oder nur unzulänglich ohne Beteiligung des Bewusstseins behandelt werden können!

 

 Ich vertrete die Ansicht, dass bei schizophrenen bzw. psychotischen Bewusstseinsvorgängen fälschlicher Weise ("sachliche") Informationen und Bewusstseinsinhalte in Schaltkreise umgeleitet werden, die spzeziell für die Verarbeitung moralsicher Informationen und insbesondere für die Verarbeitung von Konflikten zuständig sind (wodurch die eigene "Selbst-Repräsentation" an "falschen" Orten im neuronalen Gesamtgeschehen auftreten kann)?!  

Es handelt sich hier mglw. um eine kontraproduktive Form von neuronaler Plastizität?! Dieser Begriff bezeichnet u.a. die Fähigkeit des Gehirns, Areale, die ihrer ursprünglichen Aufgabe entledigt sind, in anderweitige Aufgaben einzubinden. Das beste Beispiel sind Fälle von Erblindeten, deren visueller Cortex sich zunehmend an der Verarbeitung auditiver oder taktiler Reize beteiligt. Nur hat es in diesem Fall  nichts mit der Bereitstellung zusätzlicher Kapazität durch unterforderte ("arbeitslose") Bereiche zu tun, sondern mit erzwungener Auslagerung seitens überlasteter Subsysteme in ungeeignete Abteilungen?!

 

Das betroffene Subjekt kann einen "realen Konflikt" erlebt haben, der sich über eine Krise, zum Trauma und schließlich zur Psychose auswächst (etwa, weil das Stressbewältigungs-, das Selbstberuhigungs- oder das Motivationssystem bereits grundsätzlich gestört sind, oder, wohl eher seltener, tatsächlich ein unter "objektiven" Gesichtspunkten seelisch extrem belastender Konflikt vorliegt).

Diese Störung könnte also aus völlig endogenen Gründen ohne realen äußeren Anlass eintreten! 

 

Mir scheint, es könnte ein Fehler sein, (alle) Schizophreniepatienten mit höchst fragwürdigen Medikamenten (Neuroleptika) zu behandeln, welche summarisch die Gesamtheit geistig-mentaler Phänomene dämpfen?! Noch falscher wäre es mit Sicherheit, eine "klassische"  psychologisch - therapeutische Auseinandersetzung mit der Befindlichkeit, den Erfahrungen und der Biographie der Patienten zu vermeiden und dies womöglich damit zu begründen, die Erkrankung sei schließlich unabhängig von der Umwelt und ginge aus rein genetischen Ursachen hervor?!

Wollte etwa jemand ernsthaft behaupten, es sei sinnlos oder gar kontraproduktiv, einem depressiven Menschen einen freundlichen Gruß, eine Geburtstagsgratulation oder ein aufmunterndes Wort zukommen zu lassen, weil seine Emotionalität ja ohnehin "rein genetisch" gestört sei und "nichts" mit realen (sozialen) Umweltereignissen zu tun habe?!

Oder betrachten wir unter dem gleichen Gesichtspunkt das Thema "Ängste":

 Ängste können abwegig und unbegründet (z.B. vor Hexen, Dämonen, Flugsauriern, Werwölfen, Schrankmonstern,...) oder konkret und berechtigt sein (z.B. vor Einbrechern, Mördern, Schmerzen beim Zahnarzt, Inflation,...) Wenn es gelingt, einen verängstigten Menschen graduell zu beruhigen, ihm zu ermöglichen, seine Angst zu "managen", dann hat er wahrscheinlich bessere Voraussetzungen, mit dem inhaltlichen Gegenstand seiner Angst oder dem Prozess des Angsterlebens an sich umzugehen! Die Einschätzung, man könne einem Menschen im Falle begründeter Ängste "helfen", im Falle unbegründeter Ängste hingegen nicht, entbehrt m. E. zumindest teilweise einer tieferen Logik! Analog sehe ich es bei der Schizophrenie: Die mentalen Erlebnisse mögen grundsätzlich "paradox" sein, das heißt aber nicht, sie müssten in jedem Fall völlig unveränderlich und immun gegenüber einer (im Idealfall durch soziale Unterstützung verstärkten) Selbstberuhigung sein.

Ich wiederhole ein meinerseits favorisiertes Zitat:

".........Es wäre besser, geistige Störungen oder geistige Krankheiten als Bündel von Symptomen zu betrachten, die sich in ihren Intensitäten abhängig von alltäglichen Erlebnissen individuell verändern können......." (James Kingsland: Die Hirnforschung auf Buddhas Spuren, Beltz Verlag, Weinheim, 2017, Seite 215)

 

Damit soll nicht behauptet werden, die nähere Würdigung der Person und der individuellen Lebensumstände und -erfahrungen eines Psychotikers müssten zwingend zu einem Erfolg in seiner Behandlung führen! Sicher gibt es schwerwiegende Verläufe! Einen akut durchdrehende, sich selbst und andere gefährdende, von jeglichem Realitätssinn entkoppelte Person muss man natürlich ggf. auch (vorübergehend) "chemisch" zur Ruhe bringen!

Aber sind Medikamente eine langfristige Lösung für Menschen, deren formale Logik, Kognitionsleistungen und Selbsterleben zwar graduell beeinträchtigt sind, die davon abgesehen aber weder häufige noch starke Wahnvorstellungen haben und sich insgesamt in der Realität zu orientieren vermögen?!

 Letztmalig soll nun von Oskar die Rede sein. Er wurde erwiesener Maßen gesund oder, falls dies entgegen jeglichen äußeren Anscheins ein Irrtum sein sollte, in dem Maße "unauffällig", dass er weder nach eigener Interpretation, noch gemäß Deutung seiner Umwelt Krankheitsmerkmale aufweist! Er arbeitet vollberuflich, ist sportlich und erfüllt eine Reihe an Leistungs- und Funktionsparametern, die man bei Weitem auch nicht von jeder beliebigen, völlig gesunden Person erwarten könnte!

Wie konträr hierzu war allerdings die medizinische Einschätzung, als er sich zu einem längst vergangenen Zeitpunk voller Verzweiflung in ärztliche Behandlung begab! Man prophezeite ihm einen chronischen Krankheitsverlauf und eine lebenslange Notwendigkeit neuroleptischer Medikamente! Ja, man empfahl ihm geradezu, keine Energie in "unnütze Hoffnung" zu stecken!

Aber mit welcher Begründung?! Exzessiv überspitzte Diagnoseverfahren, Übergewichtung der wenigen antiquierten "Lehrmeinungen", die ihrerseits aus einem (speziell für dieses Krankheitsbild) unzulänglichen schulmedizinischen "Halbwissen" hervorgehen, gereichten seinen Ärzten und Therapeuten hierfür zum Anlass!

Dies könnte oder sollte vielleicht zu Denken geben?! Insbesondere bleibt zu hoffen, dass nicht viele Patienten, die nüchtern betrachtet gar keine "hoffnungslosen Fälle" sind, durch defätistische Schockdiagnosen entmutigt und vielleicht sogar zu persönlichen Einstellungen und Maßnahmen veranlasst werden, durch die sie erst recht der sozialen Stigmatisierung ausgesetzt und von einer sinnstiftenden Lebensplanung und -gestaltung abgehalten werden!

KAPITELÜBERSICHT

 

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